Streik: Machtprobe in Südafrika

■ Hunderttausende von streikenden schwarzen Arbeitern lähmen Südafrikas Wirtschaft

Südafrikas Gold– und Kohleproduktion ist gelähmt, die Ölherstellung bedroht. Die Postzustellung funktioniert nur noch schleppend. Daimlers Renommierkutschen laufen nicht mehr vom Band. Die Arbeiter in den Minen, in der Post und in anderen Branchen befinden sich im Streik. Die vom Gewerkschaftsdachverband COSATU Mitte Juli ins Leben gerufene Kampagne „Lohn zum Leben“ weitet sich zu einer Herausforderung für das Apartheid–Regime aus.

Das Oppenheimer Sportstadion auf dem Gelände der Vaal Reefs Goldmine ist von der Landstraße aus kurz vor Orkney, 200 Kilometer südwestlich von Johannesburg, gut zu erkennen. Das Stadion wird vom Anglo American Konzern als Beweis seiner Großzügigkeit den schwarzen Angestellten gegenüber stolz vorgeführt. Doch am heutigen Donne heitskräften wurden sie von ihren Wohnheimen hierher eskortiert, um ihren letzten Lohn zu empfangen. Die Kumpel vom Schacht sechs der Mine waren nicht bereit, ihren Streik zu beenden. Anglo machte seine Drohung war und feuerte sie alle. Sicherheitsleute beobachten jeden, der sich dem Stadion nähert, mit Mißtrauen. Zwei Panzerfahrzeuge bewachen die beiden Eingänge. Am Straßenrand sitzen Dutzende von Arbeitern, den Oberkörper gegen die spätwinterliche Kälte in bunte Decken ge wickelt. Jeder hat einige Taschen und Pakete mit seinen persönlichen Sachen dabei. Sie warten auf den Abtransport in Bussen, die im Hintergrund bereit stehen. An der Kasse am Haupteingang des Stadions wird den Arbeitern ihr Geld ausgezahlt. Sobald ich anhalte, kommen mehrere Polizisten mit Pistolen an der Hüfte und Funkgeräten in der Hand zum Auto. „Sie brauchen gar nicht erst auszusteigen“, wird mir gesagt. „Presse ist auf dem Werksgelände nicht zugelassen.“ Schließlich wird mir erlaubt, daß ich von der knapp einen Kilometer entfernten Hauptstraße aus das Geschehen beobachten darf. Von der Haupstraße aus kann ich mit einem Fernglas beobachten, wie die Busse beladen werden. Das Gepäck wird auf dem Dach festgezurrt, während die Arbeiter sich im Inneren einen Platz suchen. Regelmäßig patroullieren grüne Sicherheitsfahrzeuge. Hinter mir fährt einer der Busse vorbei, die die entlassenen Wanderarbeiter nach Hause in die Homelands und Südafrikas schwarzafrikanische Nachbarländer bringen. Im Fenster hängt ein Plakat, das zum 1. Mai von der Gewerkschaftsföderation COSATU gedruckt wurde. Ich fahre dem Bus hinterher. Auf der Fahrt durch Orkney rufen die Arbeiter schwarzen Pas santen zu, die mit erhobener Faust zurückgrüßen. Doch Orkney ist eine Stadt der Weißen. Die meisten Häuser mit ihren sauberen Gärten gehören den Bergbaukonzernen und werden spottbillig an weiße Bergarbeiter vermietet. Sie sehen etwas verdutzt dem Bus voll singender Kumpel nach. Für Orkney, das selbst nur etwa 10.000 Einwohner hat, ist die Entlassung von 2.000 Schwarzen kein Thema. Als der Bus später anhält, versuche ich, mit den Arbeitern zu sprechen. Sie halten mir ihre Pässe entgegen. Es sind Wanderarbeiter aus Lesotho. Im Paß befindet sich neben der 12monatigen Arbeitserlaubnis vom Arbeitsamt der Bergbaukonzerne in Lesotho ein neuer Stempelabdruck: „Separated - 20.8.87“. So lapidar wird diesen Männern und ihren Familien die Existenzgrundlage entzogen. Doch die Arbeiter wollen über ihre Familien jetzt nicht sprechen. Vorläufig freuen sie sich noch auf den ungewöhnlichen Heimaturlaub mitten im Jahr. Und ihre Militanz ist ungebrochen. Vertreter der Bergarbeiterge werkschaft NUM haben in letzter Zeit beobachtet, daß Wanderarbeiter aus den ärmlichen ländlichen Gebieten Südafrikas und der Nachbarländer besonders militant geworden sind. Wiederholte Dürreperioden und die Überbevölkerung dieser Gebiete bedeuten schon seit Jahren, daß ihre Familien kaum noch überleben können. Verbesserte Löhne für die Männer, die in den Bergwerken arbeiten, sind die einzige Hoffnung. Diese Männer haben kaum etwas zu verlieren. „Wir kämpfen in vorderster Front“, singen sie mit erhobener Faust. „Wer ein Feigling ist, hat bei uns nichts zu suchen.“ Hans Brandt