„USA und Iran haben den Finger am Abzug“

■ Ein Gespräch mit Joe Stork, Mitarbeiter des „Middle East Research and Information Project“ (MERIP) in Washington über die US–Strategie am Persischen Golf

taz: Welche Strategie steht hinter dem militärischen Aufmarsch der USA im Persischen Golf? Handelte es sich um eine Verkettung von Umständen oder gab es da uns verborgene Hintergedanken? Joe Stork: Verschiedene Faktoren spielten dabei eine Rolle. Grundsätzlich haben wir es mit einer immer stärker werdenden Einflußnahme der Vereinigten Staaten im Nahen Osten zu tun, die seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs, als dort die Briten von den Amerikanern abgelöst wurden, zu beobachten ist. Die jüngsten Ereignisse haben diesen Prozeß nur fortgesetzt. Gleichzeitig gab es immer, und vor allem in der Ära Nixon, die Tendenz, nicht selbst präsent zu sein, sondern treue Verbündete mit der Wahrung US–amerikanischer Interessen zu betrauen; also den Iran im Mittleren Osten und Israel im östlichen Mittelmeer. Die Revolution im Iran im Jahre 1979 hat diese Strategie völlig über den Haufen geworfen. Es gab keine Vorkehrungen für den Fall, daß Amerikas Wächter am Golf durch eine Revolution außer Gefecht gesetzt würde. Dies war sicher ein Wendepunkt in der US–Strategie, vor allem, da gleichzeitig die Sowjets in Afghanistan einmarschierten und damit noch den Trend in Washington verstärkten, internationale Entwicklungen durch die Kalte–Kriegs–Brille zu betrachten. Zwei Jahre nach der iranischen Revolution brach der Golfkrieg aus, der dem Bestreben der USA nach militärischer Präsenz in der Golfregion eine willkommene Le gitimation bot. Das Jahr 1981 brachte auch die Furcht vor einer zweiten Preissteigerungswelle auf dem Ölmarkt. Dies ist aber nur der Hintergrund für die Steigerung der Truppenpräsenz - besonders der Marine - in den letzten Monaten. Widersprüchliche Ziele Einerseits müssen wir den historischen Prozeß berücksichtigen, andererseits die amerikanischen Maßnahmen in der jüngsten Zeit, die ich in erster Linie als undurchdacht bezeichnen würde. Die US– Politik in der Region ist durch den Widerspruch zwischen langfristigen und kurzfristigen Zielen gekennzeichnet. Langfristig möchte man die Beziehungen zum Iran normalisieren und mit dieser wichtigsten Macht am Golf wieder zu einer vernünftigen Zusammenarbeit kommen. Doch kurzfristig hat Vorrang, daß der Iran den Krieg nicht gewinnen darf, der Irak muß in der Lage sein, weiterzukämpfen. Der ganze Irangate–Skandal war auf die langfristigen Interessen gerichtet. Die jetzige militärische Aufrüstung ist demgegenüber eine Maßnahme gegen die politische Verunsicherung der ande ren Golfanrainerstaaten infolge der geheimen Deals der USA mit dem Iran. Im November flog der Skandal um die Waffenlieferungen auf, im Dezember ersuchte Kuwait die Supermächte um Geleitschutz für seine Tanker, doch die USA brauchten lange, um zu reagieren - erst als die Sowjetunion auf die Bitte Kuwaits einging, gab es eine Reaktion in Washington. Kuwait ist selbst vom Krieg betroffen. Die Spannungen zwischen den verschiedenen Nationalitäten in Kuwait - nur jeder zweite ist dort geboren - haben sich verschärft, es gab Sabotageakte und sogar einen Mordanschlag auf den Emir, Entwicklungen, die in Kuwait als Folge des Krieges angesehen werden. Weil Kuwait diesen Krieg beendet sehen möchte, hat es die Supermächte um Hilfe gebeten - übrigens eine völlige politische Kehrtwende, denn zuvor hatte Kuwait mit allen Mitteln versucht, die USA oder UdSSR aus der Golfregion fernzuhalten. Wieviel Wahres ist an der US– amerikanischen These, die Beflaggung kuwaitischer Schiffe solle ein Vordringen des sowjetischen Einflusses im Golf verhindern? Die USA sehen die Golfregion wegen der dort vorhandenen Rohstoffe und der geostrategischen Rolle, die sie für die Sowjetunion spielt, als eine Gegend von entscheidender Bedeutung an. Man darf auch nicht vergessen, daß die gesamte Petroleum–Industrie nach wie vor von US–Firmen dominiert wird, die um ihre Profite fürchten. Darüber hinaus spielt der jeweils gültige Ölpreis eine Rolle, denn er bestimmt, welche Ölvorkommen profitabel auszubeuten sind. Die hohen Ölpreise der siebziger Jahre haben neue regionale Vorkommen interessant werden lassen - aber für wie lange werden sie dies bleiben? Welche Auswirkungen hat die jetzige Krisensituation im Golf auf den Iran und seine wirtschaftliche Situation? Der Iran ist für seine eigene Versorgung nicht so sehr auf Ex– und Importe angewiesen wie etwa der Irak. Die wirtschaftliche Struktur ist über mehrere Jahrzehnte gewachsen, und nicht, wie etwa in Saudi–Arabien, in den letzten beiden Jahrzehnten aus dem Boden gestampft. Der Iran ist allerdings devisenmäßig auf den Ölexport angewiesen, um vor allem Waffen und Produktionsmittel zu kaufen. Der Iran ist mehr als jedes andere Land von den Wasserwegen des Golfes abhängig, um sein Öl zu exportieren. Der Irak etwa ist völlig auf Pipelines umgestiegen. Wenn die Straße von Hormuz geschlossen würde, wäre der Iran der Hauptleidtragende. Aber wir sind in diese Situation geraten, in der beide Seiten den Finger am Abzug haben, eine sehr gefährliche Situation. Schadet sich der Iran nicht selbst, wenn Minen gelegt werden? Die Supertanker sind für Minen am anfälligsten, denn sie sind auf bestimmte Fahrtrinnen angewiesen. Der Iran bringt sein Öl mit kleineren Schiffen zu einer Umladestation am Ausgang des Golfs und läd es dort auf Supertanker um. Doch die gegenwärtige Konfrontation mit den USA birgt natürlich auch für den iranischen Ölexport eine Gefahr. Uneinigkeit in US–Administration Was wird in den nächsten Wochen geschehen? Gibt es jemanden, der eine Prognose wagt? Das wäre riskant. Im Gedächtnis sollte man aber behalten, daß wir es mit einer komplexen Situation zu tun haben. Wir haben die amerikanische Flottenpräsenz, den iranisch–irakischen Krieg und all die sozio–religiösen Spannungen - wie wir gerade wieder in Mekka gesehen haben. Um zur ersten Frage zurückzukommen, die am sinnvollsten lauten müßte: Gibt es eine amerikanische Strategie im Golf? Die Antwort müßte heißen: Im Prinzip ja, aber sie ergibt keinen Sinn. Daran schließt sich eine zweite Frage an: Ist die Reagan–Administration sich wenigstens einig darüber? Das muß ich verneinen, es gibt gegenwärtig mindestens zwei Ansichten, vielleicht mehr. Der Marine–Aufmarsch bedeutet eine engere Allianz der USA mit dem Irak. Die USA sind damit de facto dem Kalkül des Irak ausgeliefert, der eine Kettenreaktion auslösen kann. Die Amerikaner haben in den letzten Wochen, seit sie der Schwierigkeiten ihres militärischen Unterfangens gewahr wurden, ihre Rhetorik erheblich gemäßigt. Es ist kaum zu glauben, aber in ihren Planungen sind Minen offenbar nie berücksichtigt worden. Es gibt zum einen eine Spaltung zwischen den Zivilisten und dem Militär, wobei die Militärs wesentlich vorsichtiger sind, zum anderen innerhalb des Militärs eine Spaltung zwischen der Marine und der Luftwaffe. Die Marine möchte nicht die gesamte Last der Operation tragen, doch der Luftwaffe wurden von den Golf–Anrainerstaaten keine Operationsmöglichkeiten eingeräumt. Im Kongreß gibt es sehr wenig Unterstützung für die ganze Operation, doch hat man auch keine bessere Politik anzubieten. Ich erwarte es auch nicht, denn es herrscht dort eine viel zu große Uneinigkeit, um mit einer gemeinsamen Position dem Weißen Haus entgegenzutreten. Allenfalls herrscht ein vages Gefühl, daß man dem Iran eins auswischen müßte. Der Kongreß hat jedoch auch nur wenig Möglichkeiten, eine militärische Aktion zu stoppen. Es hat einen Versuch gegeben, den War Powers Act in Kraft zu setzen, durch den der Kongreß nach sechzig bzw. neunzig Tagen einen Abbruch der Aktion herbeiführen könnte, doch kam dafür keine Mehrheit zustande. Nun sind einige Parlamentarier vors Gericht gezogen, doch das hat auch schon in der Vergangenheit keinen Erfolg gehabt. Das Gespräch führte Stefan Schaaf