Versuchskaninchen–Siedlung

■ Bochum, Franz Vogt–Straße: Junge Ehepaare und Aussiedlerfamilien wohnen auf teilsanierter Altlast / Spar–Sanierungsprojekt mit offenem Ende / Bewohner wurden nicht informiert

Von Corinna Kawaters

Bochum (taz) - Eine von zehntausend Altlasten in Nordrhein– Westfalen ist das zentrumsnahe Neubauviertel an der Bochumer Herrmannshöhe, die Franz Vogt– Straße. Hier stank seit 1901 für 70 Jahre eine Dachpappenfabrik vor sich hin, in der großzügig und im Stil der damaligen Zeit mit umweltrelevanten Gütern wie Teer, Bitumen, Asphalt, Öl und Benzin umgegangen wurde. Das Zeug wurde in offenen Becken oder in Fässern „gelagert“ oder ins Erdreich abgelassen, es gab Bombenschäden im Krieg und zahlreiche Brände. Nachdem die Firma in den 70er Jahren pleite gegangen war, erwarb die Bochumer Wohnstättengenossenschaft das Giftgrundstück gegen Anfang der 80er Jahre. Mit öffentlicher Förderung baute sie darauf Häuser, die zu 70 Prozent Aussiedlerfamilien aufnehmen müssen. Bei den Bauarbeiten entdeckte das chemische Untersuchungsamt Bochum 1985 Benzol, Toluol, Xylol usw. im Erdreich und teilweise auch im Grundwasser. Die typische Industrie–Altlast. Aber die Stadt ließ die ersten Mieter einziehen, ohne sie über die Gefahr aufzuklären, und versuchte sich selbst an einer Sanierung. Darüber schimpft Prof. Selenka, Hygieniker an der Ruhruni, in seinem Gutachten vom Juli 1986: An der Erdoberfläche waren Materialverschleppungen festzustellen, die bei sorgsamem Umgang mit kontaminiertem Aushub hätten vermieden werden können. Als sich die Stadt dann zu einem professionelleren Vorgehen entschließen konnte, wandte sie ein neues Sparverfahren an, die „Bodenluftdrainage“. Dabei werden die Ausdünstungen der Dreckpakete über Drainagerohre und Kanäle an die Erdoberfläche geleitet. In der Franz Vogt–Straße liegt ein solcher Abluft–Auslaß direkt neben dem Kinderspielplatz. Die Mieterinitiative hat wegen des hohen Anteils an Aussiedlern im Viertel Organisationsschwierigkeiten, etwa durch Sprachprobleme. Das ist günstig für die Stadt und die Wohnungsbaugesellschaft. Die Stadt verweigert der Mieterinitiative einfach die Einsichtnahme in die bislang erstellten Gutachten. „Profit– und Gewinnsucht“ hält die örtliche SPD–Wochenzeitung für die Ursache der Altlast und lobt sich für „ein Beispiel früherer Verantwortungslosigkeit und gelungener Sanierung heute.“ Das kann Olaf Böttcher, Mieter im „Versuchskaninchenstall“, wie er sein Wohngebiet nennt, nicht finden. Im Gutachten des Professor Selenka heißt es nämlich, daß eine Einschätzung der gesundheitlichen Belastung für die Bewohner der Häuser nur möglich wäre „nach Beendigung der Bautätigkeit und bei Messung über mindestens ein halbes Jahr“.