■ Im Norden Zimbabwes hat ein EG–Projekt der Tsetse–Fliege den Kampf angesagt / Mit massivem Chemikalieneinsatz soll die „Geißel Afrikas“ besiegt werden, doch statt der Rinderseuche verschwinden vor allem Flora und Fauna / Der Leiter der Kampagne verspeist DDT löffelweise zu Werbezwecken

Von S. Schwirzer u. P. Mix

Im April 1986 erhielt der Redakteur der Sunday–Times ein Telex mit den markanten Sätzen: „Laßt uns nicht Nostalgie für Papa Hemingways Afrika pflegen. Laßt uns auf die heutigen Bedürfnisse der Bevölkerung blicken.“ Mit diesen Worten verschaffte Gaspard Dünkelsbühler von der EG– Vertretung in Zimbabwe seinem Ärger Luft. Ein Journalist hatte den Millionenkampf gegen die Tsetse–Fliege als unheilvoll für Afrika bezeichnet, - eine Kritik, die EG–Funktionäre in diesem Land nur schwer vertragen können. Denn seit 1986 beteiligt sich auch die Europäische Gemeinschaft am „war on tsetse“, dem Krieg gegen die Fliege. Runde zwölf Millionen ECU sollen in das auf drei Jahre veranschlagte „Regionale Tsetse und Trypanosomiasis Kontroll–Programm“ fließen. Die stolze Bilanz der ersten zwölf Monate: Rund 4.600 km2 der beabsichtigten 10.000 km2 konnten von der Fliege „befreit“ werden. Fünfmal jagten die Sprühflugzeuge in der Trockenperiode des nachts mit 260 km/h in 20 m Höhe über das ebene Land. Sie entluden ihre giftige Fracht nicht nur über Baum und Busch; auch Siedlungen wurden sprühend überflogen. Das gefährliche Patentgift Die Bekämpfung der Tsetse– Fliege findet aus der Luft und am Boden statt. Seit 1982 werden die Chemikalien Endosulfan für Luftsprühaktionen und DDT für Bodensprühen verwendet. Aus Furcht vor europäischen Protesten versprach die EG, in ihrem Programm kein DDT zu verwenden. Jan de Vries, Landwirtschaftsberater der EG–Vertretung in Harare, beteuert: „In Europa verbotene Chemikalien kommen bei Luftsprühaktionen der EG nicht zum Einsatz“. Statt dessen werden der Organochlorwasserstoff Endosulfan und versuchsweise das künstliche Pyrethroid Deltamethrin eingesetzt. Beide Mittel sind wesentlich giftiger als DDT, zerfallen jedoch schneller und reichern sich nicht in den Nahrungsketten an. Immer wieder beteuern die Anwender die Ungefährlichkeit von Endosulfan für die Umwelt. Die Gesamtdosis von maximal 100 g/ha bei insgesamt fünf Sprühaktionen ist ihrer Meinung nach schon fast als „homöopatische Dosis“ zu bezeichnen. Peter Nagel von der Universität Saarbrücken, die mit sprühbegleitenden ökologischen Untersuchungen von der EG beauftragt ist, bekräftigt: „Wir haben bisher keine langfristigen schädlichen Auswirkungen auf die Umwelt feststellen können.“ Von anderen Ökologen ist dagegen zu erfahren: Bereits nach der ersten Sprühung starb in den betroffenen Gewässern der größte Teil der Fische. Daß Endosulfan nicht so ungefährlich ist, wie gerne der Anschein erweckt wird, zeigt auch die Unfallstatistik des Amtes für Arbeitsgesundheit und -sicherheit in Zimbabwe: Zwischen 1980 und 1985 entfielen von 288 gemeldeten akuten Ver giftungen allein 123 auf Endosulfan. Die ökologischen Auswirkungen von Deltamethrin sind bislang kaum untersucht worden. Die EG will die Einführung eines neuen Mittels vorantreiben, denn Hoechst ist einziger Lieferant von Endosulfan (Handelsname Thiodan) und hat damit das Preismonopol. Da Deltamethrin vom britischen Chemiekonzern Cooper produziert wird, verspricht sich Jan de Vries mehr Wettbewerb und niedrigere Preise. DDT bleibt „unverzichtbar“ Verschiedene Mittel senken außerdem die Gefahr von Resistenzen, die auftreten können, wenn über längere Zeit derselbe Wirkstoff angewendet wird. Bis jetzt aber hat Hoechst den Markt fest in der Hand. Mit ihrem „umweltbewußten“ Verzicht auf DDT macht es sich die EG leicht. Während sie sich auf das Sprühen von Endosulfan aus der Luft beschränkt, bleibt es den zimbabwischen Behörden überlassen, rund um die sogenannten „Sprühblöcke“ DDT– Barrieren gegen neu eindringende Tsetse–Fliegen aufzubauen. Auch nichtüberfliegbare, hügelige Gebiete können nur mit DDT–Behandlung vom Boden aus „gesäubert“ werden. Kritiker des EG– Programms wie die Naturschutzorganisation „Wildlife Society of Zimbabwe“ weisen deswegen darauf hin, daß die Tsetse–Kampagne als Ganzes betrachtet keineswegs ohne das verpönte DDT auskommt. Staatliche Funktionäre wie Simbarashe Mpofu, Leiter der Forschungsstation des Gesundheitsministeriums, halten dagegen, daß es bisher kein adäquates alternatives Insektizid zum DDT für Bodensprühaktionen gibt und betonen, daß Luftsprühen mit Endosulfan doppelt so teuer sei wie Bodensprühen mit DDT. Während die Luftsprühungen alle zwei Wochen wiederholt werden müssen, reicht eine einmalige DDT–Behandlung für die ganze Trockenzeit. Bis zu 2.000 Arbeiter mit Rückensprühgeräten werden für die Bodenaktionen losgeschickt. „Man muß sie wie eine Armee befehligen“, so Brian Hursey, Leiter der zimbabwischen Tsetse–Kampagne. Die bevorzugten Aufenthaltsorte der Fliege werden im Laufschritt mit einer Dosis, die von ca. 240 g bis zu 1 kg/ha reichen kann, „ausgeräuchert“. Am Abend kommen die Arbeiter vom DDT weißgepudert nach Hause. Selbst Dr. Mpofu muß zugeben, daß derlei Großeinsätze nicht ohne Folgen bleiben: Sprühaktionen im Sebungwe–Gebiet südlich des Kariba–Sees haben zu hohen Rückständen in Fischen und im Plankton geführt. Fischadler zerbrechen ihre Eier bei der Brut, weil die Schale zu dünn wird; Fledermäuse geben keine Muttermilch mehr. Die Muttermilch von Frauen aus der Kariba–Region, deren Haupteiweißquelle Fisch ist, ist mit 0.92 mg/kg weltweit am meisten belastet. Die Werte sind fast doppelt so hoch wie die 1972 in Europa festgestellten, dem Jahr, als DDT verboten wurde. Das Gift steht im Verdacht, sich bei Föten und Neugeborenen im zentralen Nervensystem anzureichern. Als Folgeschäden können bei Erwachsenen Sterilität und Impotenz entstehen. Trotz der besorgniserregenden Entwicklungen halten zahlreiche Wissenschaftler an der Unbedenklichkeit der DDT–Einsätze fest. Bei den Auseinandersetzungen um die Chemikalie kann es schon einmal vorkommen, daß Brian Hursey einen Teelöffel DDT verspeist, um verblüffte Kritiker von der Harmlosigkeit des Giftes zu überzeugen. Auch Vertreter der EG halten bis heute an dem Sprühprogramm mit Endosulfan fest, obwohl begleitende DDT–Einsätze zwingend notwendig sind und längst sanftere Formen der Beseitigung bekannt sind. Wann geht die Fliege in die Falle? So wird von zimbabwischen Forschern an der Optimierung von Tsetse–Fallen gearbeitet. Mit dem künstlichen Atem– und Uringeruch von Rindern, bestehend aus Aceton, Octanol und zwei Phenolen, werden die Fliegen über Hunderte von Metern angelockt. Nähert sich eine Fliege der Falle - einem aufgespannten schwarzen Tuch mit feinem Netzstoff an den Seiten - wird das von der Fliege vermutete „Tier“ erst einmal umkreist. Der Tod kommt schnell, wenn die Fliege mit dem für sie nicht wahrnehmbaren Netzstoff, der mit Deltamethrin imprägniert ist, kollidiert. Dr. Glyn Vale, der seit 16 Jahren an der Entwicklung dieser Fallen arbeitet, beweist, daß die Erfolgsquote bei 98 % liegt. Er glaubt, daß die Zukunft der Tsetse–Kontrolle in den Fallen liegt, denn sie sind billiger und sicherer für Mensch und Umwelt. Da der chemische Wirkstoff nur punktuell zur Anwendung kommt, ist der Grad der chemischen Belastung wesentlich geringer als bei jeder Sprühaktion. Vorteilhaft ist auch, daß alle benötigten Materialien außer dem Deltamethrin in Zimbabwe selbst vorhanden sind. Arbeitskräfte für Bau und Wartung sind angesichts der verbreiteten Arbeitslosigkeit leicht zu finden. Zoologen wie Prof. Phelps von der Universität Zimbabwe sind inzwischen auch der Ansicht, daß das bislang verfolgte Ziel, die Fliege auszurotten kurzfristig in die Sackgasse führt. Er führt als Beispiel auf, daß in Botswana bereits seit sechs bis sieben Jahren gesprüht wird und es trotzdem immer wieder überlebende Fliegen gibt. Auch flächendeckende Sprühaktionen können nicht verhindern, daß neue Fliegen aus Nachbarländern hereinkommen. Um das Neueindringen der Fliegen zu verhindern, umfaßt das EG–Programm theoretisch auch die Nachbarländer Zimbabwes, Zambia, Malawi und Mosambik, mit einem Gesamtetat von 20,5 Millionen ECU. Während die Kampagne in Zambia im Winter 1987 beginnen soll, wird sie in Malawi frühestens in fünf Jahren erwartet. Mosambik wird wegen der ständigen Angriffe durch die rechte MNR Guerilla kaum mehr erwähnt. Diese Lücken im Bekämpfungssystem werden dazu führen, daß in den von der Tsetse– Fliege befreiten Gebieten Zimbabwes „bereits nach einigen Jahren wieder aufwendige Sprühaktionen notwendig sein werden“, sieht Prof. Phelps voraus. Er fordert daher eine Abkehr von der kurzfristig eingesetzten chemischen Keule und plädiert für die langfristige Minimierung der ungeliebten Tierchen durch Fallen. Was bewegt die EG, an ihren Sprühaktionen festzuhalten angesichts der stattlichen Erfolge, die die Fallen–Methode aufweisen kann? Die Antwort mag darin liegen, daß die vergleichsweise geringen Mengen von Deltamethrin, das bei Fallen verwendet wird, Hoechst und die DDT–Produzenten in Italien vom lukrativen Markt drängen könnte. Kahlschlag im Zambezi–Tal Doch selbst da, wo die Tsetse– Plage vorerst verschwunden ist, herrscht nicht eitel Freude. Die Wochenzeitung Financial Gazette berichtete Anfang dieses Jahres, daß Tausende von neuen Siedlern in die Bezirke Omay, Gokwe und Sebungwe drängen, nachdem dort die Fliege beseitigt worden ist. In den von der EG finanzierten Ost–Regionen des Zambezi–Tals weitet sich die Rinderhaltung aus. Ergebnis der agrarpolitischen Prioritäten der Regierung von Zimbabwe. Zugunsten der riesigen kommerziell betriebenen Farmen, die zum großen Teil in weißer Hand geblieben sind, verzichtete sie auf eine Agrarreform. In den „Communal Areas“, jenen Gebieten, in die die schwarze Bevölkerung von den weißen Rhodesiern zurückgedrängt wurde, wächst die Bevölkerung rasch, die Böden werden schlechter. Daher konzentriert sich die Landnahme auf die neuerschlossenen Gebiete des Nordens. Ökologen und Umweltschützer befürchten jetzt, daß das Zambezital durch unkontrollierte Neuansiedlungen zu einer Wüste degradieren könnte. Bäume und Büsche werden geschlagen, das Land wird mit Zugtieren gepflügt, Rinder– und Ziegenherden entstehen. Doch ein großer Teil des Gebietes ist trocken, erosionsanfällig und eignet sich nur für extensive landwirtschaftliche Nutzung. Ein Wildtierexperte, der kürzlich aus einer der betroffenen Regionen zurückkehrte, sagte düster: „Papa Hemmingway würde heute sein Afrika nicht mehr wiedererkennen. Die marginalen Länder von Omay bis Gokwe entwickeln sich zu degradierten ländlichen Slums.“ Eine der wichtigsten Fragen, die gegenwärtig unter Planern diskutiert werden, betrifft die Konkurrenz zwischen Wildtieren und Rinderherden. Da einheimisches Wild Immunitat gegenüber den Trypanosomen entwickelt hat, gedeiht es auch in den belasteten Regionen. Wildtier–Lobbyisten argumentieren daher, anstatt aufwendiger Viehzuchtprojekte sollen die entsprechenden Wildtier– Arten geschützt werden und Fleisch für die arme Landbevölkerung liefern. Der Finanzbedarf sei gering und Devisen würden gar nicht verbraucht. Bereits seit Anfang der sechziger Jahre wurden im Zambezi–Tal hohe Einkommen durch Safaris, den Verkauf von Tieren, Fellen und Trophäen erzielt. Ungeachtet dieser Vorzüge findet die „Wildtier–Alternative“ wenig Anklang, da die Produktion von Rindern seit dem Rindfleisch– Exportvertrag mit der EG lukrative Einkommen verspricht. Kritiker entgegnen, daß der Absatz für Rindfleisch auf dem gesättigten europäischen Markt nicht gesichert ist. Um die Bedingungen der EG zu erfüllen, mußten darüber hinaus 56.000 Büffel in der Zambezi–Region abgeschossen werden, da diese Überträger der für Rinder gefährlichen Maul– und Klauenseuche sein können. Auch bei den neuen Siedlern aus den überfüllten „kommunalen Gebieten“ stößt die Wildtiernutzung auf wenig Interesse, sind doch die mitgebrachten Rinder Grundlage ihrer Subsistenzwirtschaft. Langwierige Umschulungsmaßnahmen werden erforderlich sein, um die Neusiedler von den Vorzügen der Wildtiernutzung zu überzeugen. Für derartige Planungen fehlten der zimbabwischen Regierung bislang die materiellen und personellen Voraussetzungen. Aber, so fragen Kritiker, warum unterläßt auch die EG entsprechende Initiativen? Dazu die Antwort Dünkelsbühlers von der EG: „...die grundsätzliche Entscheidung über Landnutzungs–Kontrolle ist voll und ganz Angelegenheit der zimbabwischen Regierung“ als ein souveräner Staat. Eindringlich fordert dagegen John van Sackle vom Naturschutzverein „Zambezi Society“: „Die EG muß sich auch um die Konsequenzen ihrer Ausrottungskampagne kümmern, d.h. finanzielle Mittel für Landnutzungspläne zur Verfügung stellen.“ Gerade die ständig benachteiligte schwarze Bevölkerung aus den kommunalen Gebieten, deren Bedürfnisse Dünkelsbühler angeblich so am Herzen liegen, wird durch die gegenwärtige Form des „Krieges gegen die Tsetse–Fliege“ erneut auf der Seite der Verlierer stehen.