Hattinger von Thyssen geschockt

■ Vorstand: Betriebsrat verhindert, daß Hattinger freie Arbeitsplätze im Konzern erhalten / Betriebsrat will das „letzte Faustpfand“ nicht aus der Hand geben / Rüstungsaufträge kein Thema bei

Aus Hattingen Petra Bornhöft

„Völlig geschockt“ und sprachlos reagierten gestern die rund 200 Teilnehmer der Vertrauensleuteversammlung der Thyssen–Henrichshütte in Hattingen auf die Erpressungsversuche des montanmitbestimmten Konzerns. Thyssen setzt den Betriebsrat auf Deubelkommheraus unter Druck, die geplante Stillegung der Hütte zügig abzuwickeln. Theoretisch hätte der Konzern bereits in der vergangenen Woche damit beginnen können, nachdem die Verhandlungen über einen Interessenausgleich endgültig gescheitert waren. Doch das Unternehmen hat sich selbst blockiert, weil es im Juni den seit 1983 bestehenden Sozialplan einseitig gekündigt hat. Deshalb fehlen derzeit die Instrumente zur Regelung von Versetzung, Frühpensionierung oder für Aufhebungsverträge mit Abfindung. Der Betriebsrat, der bei einem neuen Sozialplan schlechtere Bedingungen befürchtet, schaltete das Arbeitsgericht ein und unterlag in der ersten Instanz. Sollte auch das Landesarbeitsgericht Thyssen Recht geben, wollen die Arbeitnehmer bis vor das Bundesarbeitsgericht gehen, „und das kann drei Jahre dauern“, so Betriebsratsvorsitzender Rolf Bäcker: „Das Ergebnis ist unklar, möglicherweise ist dann keiner mehr von uns in Hattingen, und wir kriegen lediglich eine höhere Abfindung.“ Thyssen konterte schnell und ließ sich auf keine Kompromißvorschläge ein. Im Gegenteil: Für diese Woche beraumte das Unternehmen ein Einigungsstellenverfahren an, in dem für September sechs Tage Arbeit und 15 Tage Kurzarbeit im Walzwerk entschieden werden sollen. Weiter fordert Thyssen, daß der Betriebsrat sein Rechtsmittel zurückzieht, als „Gegenleistung“ bietet der Stahlriese an, noch bis Ende des Jahres auf Grundlage des alten Sozialplanes 160 Mitarbeiter nach Krefeld und Witten zu versetzen. Nach Schätzungen der IG Metall ist bis heute für 800 bis 1.400 Beschäftigte keine Ersatzlösung gefunden. Dennoch gibt es im Betrieb nicht wenige, die von den mageren und ungenauen Angeboten Gebrauch machen wollen. „Ich habe eine Gänsehaut und Angst, was wird, wenn wir ab 1.1.88 einen viel schlechteren Sozialplan bekommen, der dann für alle gilt?“, brachte ein Vertrauensmann gestern die Stimmung auf den Punkt. Am Abend wollten IG Metall und Betriebsrat dem Konzern einen letzten Kompromißvorschlag anbieten: Man verzichtet auf das Beschlußverfahren vor Gericht, wenn ein neuer Sozialplan „auf freiwilliger Basis“ ausgehandelt wird und Thyssen sich bereit erklärt, die Bedingungen nicht zu verschlechtern, sofern weiterhin öffentliche Gelder aus Brüssel und Bonn für Sozialpläne fließen. Die in der letzten Woche bekanntgewordenen Absichten des Verteidigungsministeriums, die Henrichshütte mit neuen Rüstungsaufträgen zu versehen, stand gestern nicht zur Debatte.