Bei der GAL–Hamburg fliegen die Fetzen

■ Schwerste Krise seit Bestehen der Partei / Frauen im Rathaus betrieben „Hausfrauisierung des Parlaments“ / Hintergrund ist die nicht–verdaute Wahlniederlage / Gegenseitige Vorwürfe und ausgesprochenes Mißtrauen

Von Reiner Scholz

Hamburg (taz) - Die Grün–Alternative Liste (GAL) in Hamburg befindet sich in der schwersten Krise seit ihrem Bestehen. Auf einer mit 80 Personen äußerst mager besuchten Mitgliederversammlung am Wochenende flogen die Fetzen, als die Rede des scheidenden Landesvorstandsmitglieds Bernd Vetter zu einer Generalkritik an der Frauen–Fraktion im Rathaus und an exponierten Vertretern der gemäßigten realpolitischen Linie geriet, die in Hamburg deutlich in der Minderheit ist. Als Bernd Vetter der Frauenfraktion in der Bürgerschaft „Hausfrauisierung des Parlaments“ vorwarf und den Realos sinngemäß „Nestbeschmutzung“, weil sie ihre Kritik an der fundamentalistischen Linie der Hamburger Grünen vorzugsweise im Spiegel darlegten, kam es zu tumultuarischen Szenen. Die Angesprochenen erbaten sich im aufgeheizten Klime „Auszeiten“ und wehrten sich durch Gegenbeschuldigungen. Die Rathausfrauen erklärten, bei ihrer Arbeit ständig unter dem Druck der Partei und der Außenwelt zu stehen. In diversen persönlichen Erklärungen wiesen die Vertreter des realpolitischen Flügels darauf hin, daß sie den Parteikonsens erst in dem Moment verlassen hätten, als die Fundamentalisten ihnen jegliche Gesprächs– und Einflußmöglichkeit abgeschnitten hatten. Hintergrund dieser heftigen Auseinandersetzungen ist die nicht verdaute und aufgearbeitete Wahlniederlage vom Mai, bei der die GAL ein Drittel ihrer Wähler verlor. So hatte sich die hanseatische GAL fundamentaloppositionell und in einer Weise stark geriert, die nicht ihrem wirklichen Einfluß entsprach. Sie stellten zwar ein „Tolerierungsprogramm“ für eine Regierung mit der SPD auf, erklärten aber gleichzeitig, keiner der Punkte wie Ausstieg aus der Kernenergie, Sanierung der Elbe, Gleichbehandlung von Immigranten und Flüchtlingen oder Hafenstraße sei überhaupt verhandelbar. So bezichtigten sich die GALier am vergangenen Wochenende gegenseitig, die Wahlniederlage verschuldet zu haben und die Rolle der derzeitigen SPD/FDP–Koalition völlig falsch einzuschätzen. Die Fundamentalisten erklärten, die SPD sei im Pakt mit der FDP jetzt nicht nach rechts gegangen, weil mit ihr ohnehin genuine SPD– Politik realisiert werde. Ihre Widersacher befürchten, daß eine derartig überzogene Einschätzung die GAL für die nächsten Jahre jeglicher Möglichkeit berauben könnte, auf fortschrittlichere Kräfte in der SPD und vor allem ihre zahlreichen, neugewonnenen Wähler Einfluß zu nehmen.