IG Chemie will sofortigen Ausstieg aus Atomenergie - im Jahre 2050

■ CPK–Atomenergie–Kommission legt Bericht vor / Mit Atomkraft gegen „weltweite Energielücke“ / Abschied von den Hamburger DGB–Beschlüssen / Im Gremium kein Gegner der Atomenergie

Von Manfred Kriener

Berlin (taz) - Nach der ÖTV und der IG Bergbau hat sich jetzt auch die Industriegewerkschaft Chemie vom Hamburger Ausstiegsbeschluß des DGB verabschiedet. In einem siebenseitigen energiepolitischen Papier fordert die „Kernenergie–Kommission“ der IG Chemie, daß Atomkraft „möglicherweise zur Überwindung der Mitte des nächsten Jahrhunderts einsetzenden fossilen Energielücke einen wichtigen Beitrag zur Sicherung der Energieversorgung leisten muß“. Die IG Chemie hält es „heute nicht für verantwortbar, einen Verzicht auf die Kernenergienutzung bis zu einem bestimmten Zeitpunkt zu verkünden“. Auch in Sachen Schneller Brüter und Wiederaufarbeitungsanlage rückt die IG Chemie von der eindeutig ablehnenden Position des DGB ab. Pflaumenweich heißt es dazu: Der Schnelle Brüter in Kalkar „muß nicht ans Netz gehen“, und die WAA in Wackersdorf „bleibt fragwürdig“. Auf den Ausbau der Plutoniumwirtschaft „kann verzichtet werden“. Der Ausstieg aus der nach Tschernobyl formulierten Posi tion des DGB, die einen „Verzicht auf die Kernenergie“ so „rasch wie möglich“ fordert, wird von der IG Chemie in klassischer Manier begründet: - International drohe in 50 Jahren der Verlust der Energiequellen Holz und Erdöl mit einer weltweiten Energieverknappung. - Die unbeschränkte Nutzung fossiler Energiequellen gefährde das „globale Öko–System“. Angespielt wird auf Luftverschmutzung und Waldsterben sowie Klimaveränderungen durch den Treibhauseffekt. - Im großtechnischen Maßstab gebe es keine einsetzbaren Alternativen. Bleibt nur die „Technik der Kernspaltung“. Die Kommission sieht zwar ein „großes Radioaktivitätspotential“, das zu schweren Katastrophen führen könne, doch werde diese Technologie in der BRD „auf einem besonders hohen Sicherheitsniveau beherrscht“. Der Zubau weiterer Atomkraftwerke wird allerdings auch von der IG Chemie–Kommission abgelehnt, die Entwicklung alternativer Energietechnologien solle intensiver gefördert werden. Insgesamt sieht die Kommission ihre Position als Beitrag zu einem „über die Parteigrenzen hinweg“ angelegten Grundkonsens in der Energiepolitik. Zumindest innerhalb des 15köpfigen IG Chemie– Gremiums war dieser Grundkonsens hergestellt, zumal ein Atomenergie–Gegner in diesem Gremium nicht vertreten war. Dafür hatten drei Mitarbeiter der illegal arbeitenden Hanauer Atomfirmen Sitz und Stimme. Den Vorsitz der Kommission nahm IG–Chemie– Chef und Rechtsausleger Hermann Rappe ein. Trotz der Widersprüche zum Hamburger Ausstiegsbeschluß gab sich die Düsseldorfer DGB– Zentrale gestern moderat. Das Papier der IG Chemie sei „keine absolute Kriegserklärung an die Hamburger Beschlüsse“, befand der energiepolitische DGB–Referent Riegert. Der DGB geht an diesem Wochenende in Klausur. Auf einem Treffen mit den Einzelgewerkschaften soll als Fortschreibung des Hamburger Ausstiegsbeschlusses ein Kompromißpapier verabschiedet und die unterschiedlichen Positionen der Einzelgewerkschaften „in einen homogenen Guß“ gebracht werden.