: Bauchlandung für Daimler
■ Einigungsstelle entschied gegen die Flexibilisierungspläne / Regelarbeitszeit soll 40 Stunden pro Woche nicht überschreiten / Management wollte in Untertürkheim tägliche Arbeitszeit bis auf zehn Stunden ausdehnen
Von Martin Kempe
Berlin (taz) - Die Flexibilisierungspläne von Daimler im Werk Untertürkheim sind vorerst gescheitert. Eine betriebliche Schlichtungsstelle entschied am Montag, daß der geltende Manteltarifvertrag der Metallindustrie Baden–Württembergs eine Überschreitung der 40–Stunden–Woche nicht zuläßt, es sei denn durch Überstunden. Damit hat die Schiedsstelle unter dem Reutlinger Arbeitsrichter Werner Schwägerle die Bestrebungen des Daimler–Konzerns durchkreuzt, in „Engpaßbereichen“ mehr als 40 Stunden wöchentlich als Regelarbeitszeit einzuführen. Die Auseinandersetzung um die Flexibilisierungspläne von Daimler hat nach Ansicht der Industriegewerkschaft Metall beispielhaften Charakter für die Handhabung der neuen Arbeitszeitbestimmungen, die erstmals mit dem Streik von 1984 durchgesetzt worden sind. Der damals erzielte und noch gültige Kompromiß sah eine durchschnittliche Arbeitszeitverkürzung von 40 auf 38,5 Stunden pro Woche vor, wobei es betrieblichen Regelungen überlassen wurde, in welcher Form die Arbeitszeitverkürzung umgesetzt werden sollte. Bei Daimler wählte man die „Freischichtenregelung“, d.h. die Beibehaltung der wöchentlichen Arbeitszeit von 40 Stunden und Bündelung der verkürzten Arbeitszeit zu Freischichten. Das Daimler–Management hatte im Interesse einer höheren Anlagenausnutzung nun gefordert, die tägliche Arbeitszeit bei rund 4.500 Beschäftigten in Untertürkheim auf neun bzw. sogar zehn Stunden auszudehen. Dies hätte eine wöchentliche Arbeitszeit von bis zu 50 Stunden ergeben. Der Ausgleich auf die tarifliche gesetzte Normalarbeitszeit von 38,5 Stunden sollte durch zusätzliche Freischichten erfolgen. Allerdings sollten die zusätzlichen täglichen bzw. wöchentlichen Arbeitsstunden als Regelarbeitszeit gelten, also nicht unter die Überstundenregelung fallen. Der Betriebsrat hatte gegen dieses Verlangen die Einigungsstelle angerufen. Seiner Meinung nach sind alle Arbeitsstunden über die tariflich festgesetzte Regelarbeitszeit hinaus Überstunden. Sie müssen demnach jeweils vom Betriebsrat genehmigt und mit Überstundenzuschlägen abgegolten werden. Hintergrund der Auseinandersetzung ist die Weigerung des Daimler–Betriebsrats, während des Tarifkonflikts im Frühjahr dieses Jahres weitere Überstunden zu genehmigen. Das hatte seinerzeit beim Management angesichts erheblicher Produktionsengpässe böses Blut gemacht. Die Bestrebungen des Managements zielen jetzt darauf, sich von der Einwirkungsmöglichkeit des Betriebsrats unabhängig zu machen. Der hatte seit längerem Überstunden nur noch genehmigt, wenn sie auf Freiwilligkeit beruhen und die Beschäftigten wahlweise statt der Bezahlung auch Freizeitausgleich verlangen konnten. Die IG Metall–Bezirksleitung in Stuttgart bezeichnete die Entscheidung der Schiedsstelle als „volle Bauchlandung für die Metallindustrie“. Wäre Daimler mit seinem Ansinnen durchgekommen, hätten andere Unternehmen „ohne Zweifel nachgezogen“. Der Daimler–Konzern kündigte an, den Konflikt nun vor dem Arbeitsgericht klären zu lassen.
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