piwik no script img

Halbzeit im Hanauer ALKEM–Prozeß

■ Auch nach fünf Verhandlungstagen zeichnet sich im Prozeß gegen die Geschäftsführer der Hanauer Plutoniumfabrik keine entscheidende Wende in Richtung Urteilsfindung ab / Staatsanwaltschaft beantragt Ladung neuer Zeugen / Angeklagte fühlen sich immer noch „unschuldig verfolgt“

Von Klaus–Peter Klingelschmitt

Hanau/Frankfurt Staatsanwalt Geschwinde trotz brütender Hitze in wetterfesten „Camel“–Boots durch die Gerichtsstraße Nußallee. Unter dem wehenden Talar des jungen Staatsanwaltes, der im Vergleich zu seinem nervösen Kollegen Hübner einen sachlich–nüchternen Eindruck macht, zeigte er schamlos gebleichte Jeans vor. Und die Art, wie Geschwinde seine rutschende Brille zurückschiebt, ist schon intellektuell zu nennen. „So einer kann doch nur ein Grüner sein“, meinte ein Kollege von der FAZ erschüttert - eine Feststellung, die vor ihm bereits der angeklagte ALKEM–Manager Alexander Warrikoff getroffen hatte: „Die Hanauer Staatsanwaltschaft betreibt das Geschäft der Grünen.“ „Grüne“ Staatsanwälte - ausgebuffte Anwälte Ob Geschwinde und Hübner tatsächlich zwei Grüne sind, war bisher nicht zu erfahren. Doch „grün“ im Sinne von unerfahren scheinen sie allemal zu sein. Insbesondere Staatsanwalt Hübner lief in den vergangenen Prozeßtagen den gewieft agierenden Anwälten der fünf Angeklagten wiederholt ins offene Messer. Sichtlich erregt sprang der Staatsanwalt in seiner Box hin und her und servierte so den coolen Wahlverteidigern Bissel, Schweizer, Kunth, Dörr, Haberstroh und Hamm leichtfertig schwache Auf schläge, deren „Ritörns“ dann den beiden Staatsanwälten um die Ohren flogen. Diverse Anträge der Verteidigung auf Ablösung oder Ersetzung der beiden Staatsanwälte bestimmten denn auch die ersten beiden Prozeßtage. Mal war es die Anklageschrift, die - laut Bissel - im Vergleich mit den Originalakten mit „wesentlichen Änderungen“ gespickt sei, die alle zu Lasten der Angeklagten gingen; mal war es ein von Hübner ungeschickt in den Prozeß eingebrachtes Schreiben des Bundesjustizministers, das den Anwälten Gelegenheit zur prozeßverschleppenden Antragsflut gab. Erst am dritten Prozeßtag gelang es Staatsanwalt Geschwinde, der nun anstelle seines zusehends nervöser werdenden Kollegen das Wort ergriff, eine atmosphärische Wende herbeizuführen. Mit sechs gradlinigen, unmißverständlich formulierten Beweisanträgen konterte Geschwinde die zahlreichen Anträge der Verteidigung. Folgt das Gericht unter Vorsitz von Richter Frese diesen Anträgen, werden in den nächsten Wochen Minister und Staatssekretäre aus Bonn und aus Wiesbaden den Zeugenstand der Umwelt–Strafkammer „bereichern“. Die von Geschwinde vorgelegte hochkarätige Zeugenliste, auf der u.a. der Ex–Bundesinnenminister Baum (FDP) steht, verschlug den ansonsten um keinen Konter verlegenen Anwälten die Sprache. Sämtliche Zeugen würden nämlich der Anklage in den entscheidenden Punkten den Rücken stärken, meinte die Staatsanwaltschaft. Sie sollen zum Beweis dafür vorgeladen werden, daß die ALKEM–Manager Warrikoff und Stoll eine kerntechnische Anlage ohne Genehmigung betrieben haben und daß ihnen die Ministerialbeamten Thur mann, Frank und Hecker dabei Schützenhilfe leisteten. Die Angeklagten Erst nach einer Prozeßunterbrechung ging die Anwaltschaft dann in die Offensive. Man habe absolut nichts gegen die Vorladung der Minister und Staatssekretäre, denn deren Aussagen würden „mit Sicherheit“ die Angeklagten entlasten. Doch so ganz wohl scheint es den Angeklagten seit der Einbringung der staatsanwaltschaftlichen Anträge nicht mehr zu sein. Insbesondere Warrikoff, der in den ersten beiden Prozeßtagen gutgelaunt die Medienvertreter unterhielt und vor Gericht die Un schuld vom Lande (Odenwald) spielte, ist kleinlaut geworden. Warrikoff, dem die ALKEM– Mutter KWU - trotz Beurlaubung von der Geschäftsführung - weiterhin monatlich knapp 9.000 DM auf sein Konto bei der Degussa–Bank überweist, hängt seit seinem publikumswirksamen Auftritt am ALKEM–Modell, das er in den Gerichtssaal schleppen ließ, angeschlagen in den Seilen. Und die ebenfalls angeklagte Ministerialbeamtin Frau Dr. Angelika Hecker, die den Staatsanwälten „Nazi–Methoden“ bei der Ermittlungsarbeit und Verfassung der Anklageschrift unterstellt hatte und den Nazi–Jäger Simon Wiesenthal zum Beweis für ihre „beleidigenden Thesen“ (Staatsanwalt Hübner) vorladen lassen wollte, verweigert seit dem zweiten Prozeßtag jede Aussage zur Sache. Gar nicht auf den Mund gefallen zeigt sich ihr vorgesetzter Kollege Ulrich Thurmann. Thurmann, der es immerhin fertigbrachte, am ersten Verhandlungstag fünf Stunden lang frei zu reden und der diese Rede dann anschließend schriftlich den Journalisten vorlegte, zeigt sich äußerlich von der Anklage völlig unbeeindruckt. Immer wieder weist er Gericht und Staatsanwaltschaft schulmeisterlich darauf hin, daß in Hanau ein Prozeß geführt werde, den es eigentlich gar nicht geben dürfte, denn von einem wie auch immer gearteten Schuldvorwurf an die Angeklagten könne keine Rede sein. Thurmann: „Ich weiß immer noch nicht, warum ich überhaupt hier bin. Klären sie mich doch bitte einmal auf, Herr Staatsanwalt.“ In den zahlreichen Verhandlungspausen plaudert Thurmann, der mit theatralisch aufgeblasenen Backen dicke Zigarillos raucht, gerne aus der Schule. Tenor: Wie ich kleine Provinz–Staatsanwälte, die von der Materie keine Ahnung haben, in die Tasche stecke. Aber auch der selbstbewußte Thurmann baut vor, falls der Prozeß doch noch einen anderen Ausgang nehmen sollte als von ihm erwartet. Geschickt ließ er wiederholt durchblicken, daß „seine“ Minister - Karry (FDP), Hoffie (FDP), Reitz (SPD) und Steger (SPD) - über alle Vorgänge im Hause, also auch über die umstrittenen Vorabgenehmigungen, informiert worden seien. Thurmann: „Das war doch selbstverständlich.“ „Selbstverständlich war das selbstverständlich“ bestätigte auch der Ministerialbeamte Ulrich Frank, der unablässig bemüht ist, den korrekten Staatsdiener hervorzukehren, der nur seine Pflicht getan habe. Karry, so Frank, hätte ihn „gefressen“, falls er seiner Informationspflicht nicht nachgekommen wäre. Doch was für Karry galt, scheint für den neuen hessischen Umwelt– und Reaktorminister Karlheinz Weimar (CDU) nicht zu gelten. Gut zwei Wochen lang verschwieg die vom Wirtschafts– ins Umweltministerium gewechselte Atomabteilung im Juni dem Minister einen Störfall bei der RBU. Als großer Schweiger präsentiert sich dagegen ALKEM–Manager Stoll dem Gericht. Der 63jährige, der von Umweltschützern als „Plutoniumpapst der Bundesrepublik“ bezeichnet wird, überläßt das Wort seinem Verteidiger Bissel, der als „Superstar“ unter den Staranwälten gehandelt wird. In seiner Einlassung zu Prozeßbeginn hatte Stoll wiederholt darauf hingewiesen, daß er „nur Techniker“ sei und von daher an den Vorabzustimmungen „nichts Unrechtmäßiges“ habe finden können. Die Anwälte „Edmund Stoiber und die Männer von der ALKEM–Klinik“ nannten Journalisten am ersten Verhandlungstag spontan die sechs Wahlverteidiger der Angeklagten. Denn während Warrikoffs Rechtsanwalt Rainer Hamm dem Chef der bayerischen Staatskanzlei, Edmund Stoiber, zum Verwechseln ähnlich sieht, geht Franks Anwalt Dr. Kunth glatt als Dr. Brinkmann von der Schwarzwaldklinik durch. Daß einer der regelmäßig vor sich hindösenden Pflichtverteidiger auch als Double für Brinkmann jr. agieren könnte, komplettiert das Bild. Und so wie Dr. Brinkmann im Schwarzwald mit dem Skalpell umgeht, so sezieren die Staranwälte in Hanau die Einlassungen der Staatsanwälte Hübner und Geschwinde. Mit bühnenreifen Auftritten setzen sich die sechs Anwälte wechselseitig in Szene. Jeder noch so kleine „Ausrutscher“ der Staatsanwälte wird von Bissel und seinen Kollegen weidlich ausgeschlachtet. Mit einem Überseekoffer voller Akten und Gesetzestexten ausgerüstet, in dem sich - so ketzerische Stimmen - in Wahrheit lediglich die „Hausbar“ befinden soll, versuchen die Anwälte die Staatsanwälte bereits rein optisch zu beeindrucken. Und wie in US–amerikanischen B–Filmen springen Bissel und Kunth gemeinsam auf und verlangen vom Gericht die Zurückweisung der „Suggestivfragen“ der Staatsanwälte. Daß sich der überaus korrekt und beherrscht gebende Dr. Kunth, bei einer Temperatur von über 30 Grad im Gerichtssaal, dann doch das maßgeschneiderte Jackett unter dem Talar auszog, galt den zahlreichen Zuschauern schon als „Sensation“. Das Gericht Entsprechend beeindruckt von der Inszenierung sind die Gerichtsdiener in Hanau. Gleich mittelalterlichen Zermonienmeistern sorgen die beiden Angestellten der hessischen Justizverwaltung für die notwendige Ruhe vor den jeweiligen Auftritten der dreiköpfigen Umweltstrafkammer unter Vorsitz von Richter Frese. Und der Kollege von der FAZ wurde um ein Haar festgenommen, weil seine Thermosflasche einer „Rohrbombe“ ähnelte. Einen solchen Prozeß mit soviel Prominenz und Medienpräsenz hatte das angestaubt wirkende Hanauer Landgericht bisher noch nicht erlebt. Zivilpolizisten schleichen durch die Gänge und am ersten Prozeßtag hatte die Hanauer Polizei alles aufgefahren, was der moderne Staat angeblich zur Abwehr von Chaoten braucht: Vollbesetzte Mannschaftswagen im Hof und Walkie–Talkies in den Hosentaschen der als Zuschauer oder Journalisten getarnten Beamten, nebst rigiden Taschen– und Ausweiskontrollen. Doch die „Chaoten“, vornehmlich Mitglieder der Hanauer Grünen und Umweltschützer aus den Reihen der regionalen Bürgerinitiativen, blieben friedlich. Inzwischen - am fünften Verhandlungstag - ist das Polizeiaufgebot auf ein Minimum geschrumpft, obgleich die Zuschauerränge noch immer gut besetzt sind. Unbeeindruckt von der hektischen Betriebsamkeit im Umfeld des Prozesses leitet Richter Frese die Verhandlung. Er greift nur selten in den Dauerclinch zwischen Staranwälten und Staatsanwälten ein. Selbst zweistündige Antragsbegründungen bringen Frese nicht aus der Fassung. Bei der Befragung der Angeklagten legte der Richter - ein Sozialdemokrat - allerdings eine Hartnäckigkeit an den Tag, die selbst den selten um eine Antwort verlegenen Thurmann am fünften Prozeßtag in Bedrängnis brachte. Als daraufhin auch noch die beisitzenden Richter Zeitz und Dörig im Stile ihres Vorsitzenden „nachbohrten“ und nach den „politischen Vorgaben“ im hessischen Wirtschaftsministerium fragten, wurde der angeklagte Frank ungehalten: „Es gab nie eine politische Weisung der Leitung des Hauses, auf die Genehmigungsverfahren Einfluß zu nehmen.“ Der ALKEM–Prozeß ist auf zehn Verhandlungstage terminiert worden. Doch schon am fünften Prozeßtag wurde klar, daß diese zehn Verhandlungstage zur Urteilsfindung nicht ausreichen werden. Noch hat das Gericht nicht entschieden, ob dem Antrag der Staatsanwaltschaft auf Ladung neuer Zeugen stattgegeben wird oder nicht. Der ALKEM– Prozeß, ein Novum in der bundesdeutschen Rechtsgeschichte, bleibt auf jeden Fall spannend, denn die Gretchenfrage des Prozesses, ob die sogenannten Vorabzustimmungen mit dem geltenden Atomrecht vereinbar waren oder nicht, ist bisher unbeantwortet geblieben.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen