Thyssen zieht Erpressung zurück

■ Betriebsrat und Vorstand der Hattinger Henrichshütte einigen sich über Sozialplan / Trotzdem geben Arbeitnehmer ihr „letztes Faustpfand“ - ein Gerichtsverfahren - vorläufig nicht aus der Hand

Aus Bochum Petra Bornhöft

Bochum (taz) - Nach monatelangem Zerren haben sich jetzt Vorstand und Betriebsrat der Thyssen–Henrichshütte in Hattingen in der Frage des umstrittenen Sozialplanes geeinigt. Bis Ende 1988 werden rund 800 von 2.900 Stahlarbeitern ihren Arbeitsplatz „räumen“. Grundlage der Frühpensionierungen, Versetzungen und Aufhebungsverträge bildet der Sozialplan von 1983 . Ab Anfang nächsten Jahres soll ein neuer Sozialplan in Kraft treten. Trotzdem wird der Betriebsrat vorläufig ein laufendes Arbeitsgerichtsverfahren nicht, wie von Thyssen gefordert, zurückziehen. Wie berichtet hatte der Konzern sich mit der einseitigen, und deshalb möglicherweise rechtswidrigen Kündigung des alten Sozialplanes selbst blockiert. Als die „bestmögliche Lösung“ bewertete Betriebsratsvorsitzender Rolf Bäcker den auch von der örtlichen IG Metall positiv eingeschätzten Kompromiß gegenüber der taz. Thyssen hatte nämlich versucht, die Arbeitnehmervertreter zu erpressen: Wenn der Betriebsrat nicht sein gerichtliches Beschlußverfahren zurückzöge, so die Forderung von Arbeitsdirektor Woelke, dann hätten eben alle 2.900 Beschäftigten mit den (vermutlich) wesentlich ungünstigeren Bedingungen eines neuen Sozialplanes zu rechnen. Hintergrund für die Stimmungsmache: Wenn nach einem jahrelangen Rechtsstreit schließlich das Bundesarbeitsgericht die einseitige Kündigung des Sozialplanes von 1983 für rechtswidrig erklärt, müßte Thyssen erhebliche Summen an die ehemaligen Stahlwerker nachzahlen. Ohnehin zermürbt wollen einige Beschäftigte lieber jetzt gehen als noch weiter im Ungewissen auszuharren. Nach einer ebenso dramatischen wie offenen Aussprache am Montag votierten indes rund 200 Vertrauensleute einmütig dafür, die Belegschaft in einer Betriebsversammlung erneut zu überzeugen, „jetzt nicht den Widerstand aufzugeben und vor Thyssen zu Kreuze zu kriechen“. Nach Ansicht des Betriebsrates und der IG Metall war dieser Entschluß ausschlaggebend für Thyssens Einlenken. So haben die Hattinger erneut Zeit gewonnen. Sie werden das Gerichtsverfahren erst zurückziehen, wenn die Bundesregierung erklärt hat, ob sie für die in der Stahlindustrie anstehenden neuen Sozialpläne Gelder bereitstellt. Tut sie das nicht, „dann haben wir ohnehin die Revolution in der Stahlindustrie“, so Bäcker, „der Sozialplan–Streit ist dann kein Hattinger Problem mehr, sondern eine Frage für alle Stahlarbeiter und die gesamte IGM.“