Die Qualen der CDU vor der Wahl

Die Christdemokraten haben Mobilisierungsprobleme, also reden sie ein historisches Ereignis herbei: Die nächste Landtagswahl in Schleswig–Holstein sei „die wichtigste in seiner Geschichte“, deswegen verlangt die Union vom Wahlvolk auf ihren Plakaten einen „klaren Kurs für Schleswig–Holstein“. Sie selbst muß bei den Landtagswahlen allerdings einige Klippen umschiffen, um weiterhin den Ministerpräsidenten stellen zu können. Die bei den letzten Landtagswahlen erreichte absolute Mehrheit ist mit 49 Prozent der Stimmen nämlich reichlich dünn, und die Ergebnisse bei den Kommunalwahlen 1986 und bei der diesjährigen Bundestagswahl haben manches Leck geschlagen: bis zu sechs Stimmenprozente weniger in ländlichen Gebieten. Zwar ist die Landwirtschaft in Schleswig–Holstein anders als in Rheinland–Pfalz strukturiert, es dominieren landwirtschaftliche Groß betriebe, die von der herrschenden Agrarpolitik profitieren, aber die Anzahl der kleinen Höfe reicht doch für empfindliche Stimmeneinbußen aus. Die Opposition kennt diese Schwäche: Gegen die „Ruinierung der Landwirtschaft“ tritt deswegen populistisch die neugegründete „Unabhängige Wählergemeinschaft Schleswig–Holstein“ (UWSH) von Reinhardt Guldager auf. Stellvertretender Vorsitzender der 550 Mitglieder starken Gruppierung ist der einstige CDU–Vertriebenen–Politiker Emil Schlee, der mit deutschnationalen Parolen seinen Wahlkampf bestreitet. Zwar gehen bisherige Wahlumfragen davon aus, daß die neue Gruppierung kaum mehr als zwei Prozent abkassieren kann, diese werden dann aber zu erheblichen Teilen zu Lasten der CDU gehen und sie damit um die absolute Mehrheit bringen. Dann bliebe ihr nur ein Bündnis mit der FDP, von der nicht sicher ist, ob sie überhaupt in den Landtag einziehen wird: Zwar konnte sie bei Zweitstimmen bei den Bundestagswahlen 1987 ihr letztes Landtagswahl–Ergebnis von 2,2 Prozent mehr als vervierfachen (9,4 Prozent), aber bei Landtagswahlen gibt es in Schleswig–Holstein nur eine Stimme, und der FDP– Erststimmenanteil bei der Bundestagswahl lag nur bei 4,3 Prozent. Mit Besorgnis beobachten CDU–Strategen im Konrad–Adenauer–Haus auch die Auswirkungen des Unionsstreits um den künftigen Kurs in Bonn. Das Harmoniebestreben ihrer Klientel sei, so wird vermutet, recht groß, der offene Disput könne daher etliche Stimmen kosten. Ganz leise ist es deshalb in Bonn um die große Steuerreform des schleswig–holsteinischen CDU–Landesvorsitzenden Stoltenberg geworden. Hielt Geißler zu Beginn des Sommers auch eine höchst unpopuläre Mehrwertsteuererhöhung noch für möglich, schweigt er sich heute lieber aus und läßt Stoltenberg bis zum 13. September des letzte Wort: Es sei vor allem ein Subventionsabbau geplant, an der Mehrwertsteuer werde niemand rühren. Aber an bestimmte Subventionen will auch Stoltenberg nicht heran. Stolz verweist er auf die 20 Milliarden zusätzliche Gelder, die den Bauern bis 1990 aus Sparmaßnahmen der Europäischen Gemeinschaft zukommen werden. Und im schleswig–holsteinischen Haushaltsetat zeigt sich, daß Ministerpräsident Barschel es seinem politischen Ziehvater gleich tun kann: Die Landwirte bekommen sechs Prozent mehr Unterstützung als 1986. Denn wenn die Kreuze an den falschen Stellen gemacht werden, sieht Barschel Unheil aufziehen: „Rot–grün wählen, heißt Schleswig–Holstein quälen“, reimte er auf dem Parteitag Mitte Mai in Husum. Oliver Tolmein