Kohl: Pershings dürfen vergammeln

■ Bundeskanzler diktiert Bedingungen für Verzicht auf die 72 Pershing–1A: Erst wenn ein Genfer Abkommen in Kraft ist, will er von einer Modernisierung der Raketen Abstand nehmen / Aber in Genf soll darüber nicht verhandelt werden / Keine Rücksprache im Kabinett

Aus Bonn Ursel Sieber

Bundeskanzler Kohl will auf die „Modernisierung“ der Pershing– 1A–Raketen verzichten, falls zwischen den Großmächten ein Abkommen über die weltweite Abschaffung aller Mittelstreckenwaffen über 500 km zustande kommt. Mit dieser überraschenden Erklärung trat Bundeskanzler Kohl gestern vor der Bundespressekonferenz auf. Zehn Tage vor der nächsten Landtagswahl in Schleswig–Holstein ging Kohl da mit auf die Vorwürfe der Oppositionsparteien ein, wonach das Festhalten der Bundesregierung an der Pershing 1A zum entscheidenden Hindernis für ein Genfer Abrüstungsabkommen geworden sei. Die Trägersysteme der Pershing 1A befinden sich im Besitz der Bundeswehr, die Raketenspitzen mit den Atomsprengköpfen sind dagegen in amerikanischer Verfügungsgewalt. Der Regierungschef sagte, im Kabinett sei dieses Angebot an die UdSSR noch nicht behandelt worden. Der Streit mit der Strauß– CSU ist allerdings vorprogrammiert: CSU–Generalsekretär Tandler verbreitet heute im Bayernkurier die Parole: „Ja zur Abrüstung - Nein zur Kapitulation“. Die bayerische Partei will demnach, daß die Bundesrepublik in keinem Fall auf die Pershing 1A verzichtet. Kohl erklärte gestern erneut, die Pershing–1A–Raketen seien „nie Verhandlungsgegenstand“ gewesen und „können dies auch nicht sein“. Dennoch sei die Bundesregierung bereit, unter bestimmten Bedingungen auf die „Modernisierung“ der Pershing– 1A–Raketen zu verzichten. Für diesen „Verzicht“ listete Kohl Bedingungen auf: Zwischen den Großmächten müsse eine „weltweite Beseitigung“ der Mittelstreckenraketen über 500 km Reichweite vereinbart werden, die Verifikationsfragen müßten gelöst sein, das Abkommen müsse „ratifiziert und in Kraft getreten sein“. Fortsetzung auf Seite 2 Kommentar auf Seite 4 Ein solches Abkommen könnte bis Ende 88 rafifiziert sein, sagte Kohl. Für den Abbau der Raketen sei ein Zeitabschnitt von vier Jahren -also bis Ende 92– vorgesehen. Dann stelle sich auf für die Pershing IA die Frage: Modernisierung oder Auslaufen. Auf den Einwand eines Journalisten, daß die Modernisierung der Pershing IA eigentlich ab 1991 geplant sei, die letzte Rakete jedoch erst Ende 1992 abgebaut würde, entgegnete Kohl: Er sei zwar sehr für „gesundes Mißtrauen“, doch wenn die Dinge einmal „angelaufen“ seien, müsse man auch eine „vernünftige Wertung“ vornehmen. Von dieser Erklärung ausgenommen sind allerdings Überlegungen auf der Hardthöhe, 200 konventionelle Pershing–Raketen zu beschaffen, die ebenfalls darauf abzielen, die „Aufgaben“ der atomaren Pershing IA zu übernehmen. Für die Grünen bezeichneten deren Abgeordnete Mechtersheimer und Lippelt den Kohl–Vereicht gestern als „ebenso notwendigen wie halbherzigen Schritt“. Kohl habe dem wachsenden internationalen und innenpolitischen Druck nachgegeben. Allerdings habe er sich nur „zu einem verklausulierten Festhalten an den Raketen bisd 1991“ durchgerungen statt zu einem „klaren Verzicht“. Kohl schwinge sich jetzt „in altbekanntem deutschen Größenwahn zum Oberkontrolleur der Großmächte auf“. Für die SPD sprach deren Fraktionsvize Ehmke von einem „gewissen Fortschritt“ in der Kohl–Position, die Sondersitzung des Bundestags zur Raketenfrage sei aber nicht hinfällig. Kohl überraschte gestern auch mit der Ankündigung, die Bunderegierung erhebe Anspruch, den im nächsten Sommer freiwerdenden Posten des NATO–Generalsekretärs zu besetzen. Helmut Kohl will seinen NATO–Kollegen seinen Verteidigungsminisiter Manfred Wörner schmackhaft machen. Die norwegische Ministerpräsidentin hat für diesen Posten bereits ihren Vorgänger Kare Willoch vorgeschlagen.