Normungskrieg um Milliardenmarkt neuer Fernsehsysteme

■ Bundesrepublik und Frankreich gegen Japan und USA / Hiesige Rundfunkanstalten wollen aber zur Verbesserung ihres Filmabsatzes japanisches System übernehmen

Von Jürgen Bischoff

Eigentlich sollte er ja schon längst oben sein, der direktstrahlende Rundfunksatellit TV–SAT, doch verunglückte Raketenstarts in Cap Canaveral und bei der Ariane haben das Projekt TV–SAT schon jetzt hoffnungslos ins Defizit gestürzt. Da fiel dann die Reise vom stets lächelnden Schwarz–Schilling zu den Chinesen zur Information über den „Langen Marsch“ auch nicht mehr sonderlich ins Gewicht. Der Name aus der Kiste der Revolutionsgeschichte steht für die chinesische Trägerrakete, die die geschäftstüchtigen Chinesen dem in die Bredouille geratenen deutschen Postminister für seinen auf Halde liegenden Satelliten angedient haben. 340 Mio. DM Verlust - so eine Kabinettsvorlage - kalkuliert die Bundespost inzwischen für das Satellitensystem TV–SAT ein. Weitere 340 Mio. DM hat der Satellit den Steuerzahler allein an Entwicklungszuschüssen aus dem Bundesforschungsministerium gekostet. Dabei sollte doch mit diesem Satelliten ein neues Zeitalter eingeläutet werden, nicht nur für die privaten Rundfunkveranstalter, die nun unabhängig von der Verkabelung in ganz Deutschland und sogar im benachbarten Ausland empfangbar wären. Auch industriepolitisch wäre es eine neue Ära: Über den TV–SAT und seinen französischen Bruder TDF 1 sollten die Fernsehbilder erstmals in der neuen Fernsehnorm D 2 MAC ausgestrahlt werden, ein System, das zusammen mit den Franzosen entwickelt worden ist, und das ein verbessertes Farbfernsehbild gegenüber den beiden Konkurrenzsystemen PAL und SECAM sowie einen Hifi–Tonkanal und Digitalqualität bietet. Die Konsequenz: ein neuer Markt für D 2 MAC–taugliche Fernsehempfänger, für Antennen und Konverter aber auch für digitale Rundfunkgeräte wäre erschlossen, denn über den Satelliten soll auch Hörfunk in Digitalqualität ausgestrahlt werden. Allein für den bundesdeutschen Markt rechnet Albrecht Ziemer, Technischer Direktor des ZDF, mit einem Umsatzvolumen von 30 bis 40 Mrd. DM für Neugeräte, auf 15 Jahre verteilt. Und auch das Investitionsvolumen der Rundfunkanstalten für digitale Aufzeichnungs– und Sendeanlagen verspricht ein lohnendes Geschäft, vor allem wenn es gelingt, weitere Staaten für die Übernahme der neuen Sendenorm zu gewinnen. Die Forschungs– und Entwicklungszuschüsse aus den Staatshaushalten Frankreichs und der BRD kämen indirekt ihrer elektrotechnischen Industrie im Kampf um Weltmarktanteile in der U– Elektronikbranche zu Gute. Gerade neuentbrannt ist der Kampf zwischen der Bundesrepublik und Frankreich auf der einen und Japan und den USA auf der anderen Seite bei der Weiterentwicklung der Fernsehsysteme hin zu einem hochauflösenden Fernsehen (HDTV), bei dem auf europäischer Seite die MAC–Systemfamilie einen Zwischenschritt darstellt. HDTV (Abkürzung für den englischen Begriff High Definition Television) wird auf jeden Fall zum Ende dieses Jahrhunderts kommen. Die Entwickler begründen dies vor allem mit der Tendenz zu immer größeren Fernsehbildschirmen die bislang bei 60 cm Diagonalen an ihre technischen Grenzen gestoßen sind. Werden die Bildschirme noch größer, dann sind die Zeilen des Bildschirms so deutlich und daher in unangenehmer Weise zu erkennen. Deshalb schlagen die Entwickler vor, die Zeilenzahl zu verdoppeln. Bei den gängigen europäischen Fernsehsystemen wären es dann 1.250 Zeilen. Dann würde das Fernsehbild nahezu die Qualität eines Filmbildes erreichen. Die Japaner haben schon 1971 mit der Enktwicklung eines HDTV–Systems begonnen und es inzwischen auch schon fast bis zur Serienreife entwickelt. Baupläne für Empfangsgeräte liegen in den Schränken der japanischen Hersteller. Professionelle Aufzeichnungstechnik ist bereits lieferbar. Immerhin soll die japanische Entwicklung sogar qualitativ dazu geeignet sein, die herkömmliche Technik in der Filmindustrie zu verdrängen und so einen neuen Markt zu erschließen. Im vergangenen Jahr beantragten dann die Japaner bei der Vollversammlung des CCIR, einer Unterorganisation der SUNO, die Normungsempfehlungen für internationale Rundfunktechnik abgibt, die Anerkennung ihres Systems als neuen internationalen Standard. Das brachte die europäischen Interessenvertreter in Rage, nachdem sie lange genug geschlafen hatten. Erst 1979 befaßte sich Prof. Broder Wendlandt von der Universität Dortmund auf Anregung des Bundesforschungsmini steriums als erster mit Forschung zum HDTV. Inzwischen sind allein von der Bundesregierung für die Jahre 1984 bis 86 etwa 60 Mio DM bereitgestellt worden, die Entwicklung voranzutreiben und im Rahmen der europäischen Forschungsinitiative EUREKA wurden 500 Mio DM für HDTV–Forschungen bereitgestellt, dessen Löwenanteil sich Philips einstecken konnte. Dieses Geld wäre vergeudet gewesen, wenn die CCIR 1986 die Normentscheidung zugunsten Japans getroffen hätte. Bis 1988 haben die Europäer nun Zeit, einen eigenen Normvorschlag zu entwickeln. Und sie versuchen es auf evolutionärem Wege, d.h. durch die Weiterentwicklung des MAC–Systems. Darin liegt ein gewisser Vorteil gegenüber den Japanern, die ihr System vollkommen inkompatibel zu ihrem eigenen NTSC–Farbfernsehsystem entwickelten, dem ersten und schlechtesten Farbfernsehsystem. Experten, wie etwa Prof. Hartmut Schröder von der Universität Dortmund und enger Mitarbeiter von Prof. Wendlandt, sind sich ziemlich sicher, daß die Japaner, egal was kommt, an ihrer Norm festhalten, denn sie wissen die Amerikaner hinter sich. Dies ist der Grund, warum in der Bundesrepublik sich beim HDTV–System die Geister scheiden: Gegen Forschung und Industrie sind nämlich aus den Rundfunkanstalten Stimmen laut geworden, die für eine Übernahme des japanischen Systems plädieren. Ihr Argument: Wegen der Parteinahme der Amerikaner für das japanische System soll damit auch in Europa produziert werden, um endlich die Absatzchancen der deutschen Fernsehfilmproduktionen auf dem Weltmarkt - immerhin ein Markt von einem jährlichen Volumen von einer Mrd. Dollar - zu verbessern. Dies fordert vor allem der Technische Direktor des ZDF, Albrecht Ziemer. Beim Mainzer Sender hat man unterdessen schon mal mit der japanischen Technik herumgespielt und eine „Wetten daß ...“–Sendung parallel mit herkömmlichen Kameras und mit HDTV–Equipment aufgezeichnet und war hellauf begeistert. Otto Normalzuschauer dürfte aber wohl erst gegen Ende unseres Jahrtausends Gelegenheit bekommen, die „Segnungen“ von HDTV zu genießen, vorausgesetzt, er hat genügend Flocken locker. Der Preis für einen HDTV–Fernseher, so meinen die Fachleute, wird doppelt so hoch liegen wie bei einem heutigen Top–Gerät.