Kein Blick fürs Kolosseum

■ Die Portugiesin Rosa Mota gewann souverän den Marathonlauf der Frauen bei der Leichtathletik–WM in Rom

Aus Rom Herr Thömmes

Eigentlich wollte Monika Schäfer aus Fürth den Marathon bei der Weltmeisterschaft in Rom gar nicht mitlaufen. Es war nur so, daß der Versuch, sich für die 10.000 m zu qualifizieren, scheiterte: nur Zweite bei der Deutschen Meisterschaft. Dafür nominierte sie der Verband für die längste aller Laufstrecken, obwohl ihre Bestzeit von 2:33,22 Std. knapp über der Anforderung lag. Aber was sind schon Richtzeiten in einer Disziplin, bei der die Leistungen so abhängig sind von den äußeren Bedingungen. Am Samstag um halb sechs macht sie also in der Zielkurve des Olympiastadions letzte Lockerungsübungen, während eine Fliegerstaffel mit Getöse die italienischen Nationalfarben an den blauen Himmel malt - Schluß einer Eröffnungsveranstaltung mit vielen Trachten und Marschmusik. Monika Schäfer fühlt sich bestens vorbereitet. Jede Woche hat sie im Durchschnitt 160 Kilometer zurückgelegt, den Umfang beim Trainingslager sogar auf 215 ge steigert. Trotzdem ist da Respekt vor den anstehenden 42,195 Kilometern. „Haben Sie den Streckenplan gesehen? Knapp die Hälfte geht es über Kopfsteinpflaster.“ Was nutzt es da, daß der Weg vorbeiführt an den großen Sehenswürdigkeiten, die die Stadt zu bieten hat: Petersdom, Kapitol, Kolosseum, Spanische Treppe, Piazza Navona. „Davon bekomme ich nichts mit.“ Erst einmal ist nach dem Start eine Runde im Stadion zurückzulegen, ehe die Läuferinnen durch einen Gang nach draußen verschwinden. Über diesen Moment wird die andere bundesdeutsche Läuferin, die Dortmunderin Gabriela Wolf, später sagen, sie habe das Gefühl gehabt, „ich krieg nen Schlag“. Noch immer scheint die Sonne, ist es im Schatten fast 30 Grad warm. Deshalb will Schäfer das Rennen langsam angehen, das Tempo auf den ersten Kilometern mit einem Blick auf die Uhr immer wieder kontrollieren. Wer wie sie von den kürzeren Strecken auf der Bahn kommt, neigt dazu, sich am Anfang zu übernehmen und dann „einzubrechen“. Irgendwann sagt ein Reporter: „Schäfer has dropped out.“ Wo sie ausgestiegen ist, weiß niemand. Ungefähr bei Kilometer Elf hat Gabriela Wolf sie aus den Augen verloren. Es ist das Rennen der Portugiesin Rosa Mota. Schon früh hat sich die Favoritin abgesetzt, nach einem Viertel der Strecke beträgt der Vorsprung eineinhalb Minuten vor drei sowjetischen Läuferinnen und der Australierin Lisa Martin. Auch die wird nachher als „dropped out“ gemeldet. Hälfte der Distanz: Mit 1:13 Std. eine gute Zeit für Mota, zwei Minuten später folgt Zoja Ivanova; die Gruppe von Verfolgerinnen gibt es nicht mehr. Motas Augen sind geradeaus gerichtet, den am Rande applaudierenden Zuschauern schenkt sie keinen Blick. Sie läuft mit lockerem Schritt, die Arme hält sie angewinkelt und etwas steif vom Körper abgestellt. Mit welcher Konstanz sie diesen Marathon absolviert, zeigt ein Vergleich: Der 23. Kilometer wird in 3:23, der 40. in 3:29 Minuten zurückgelegt. Zwischendurch reißt die 29jährige eine Flasche von den bereitstehen den Verpflegungstischen, nimmt ein paar Schluck, schüttet sich beim Rennen hastig zwei Becher Wasser über den Kopf. Noch einmal am Vatikan vorbei, der für Mota jetzt einfach der Kilometer 38 ist, dann biegt sie um 19.57 Uhr wieder auf die rote Bahn des Stadions ein. Diese eine Runde noch, angefeuert vom Beifall der 60.000, dann kommt sie ins Ziel. Schaut sich zweifelnd um, weil ihr zuerst niemand ein Zeichen gibt, und wirft dann doch die Arme in die Luft, als sie begreift, daß ihr jetzt, nach 2:25,17 Std., Gold gehört. Schnappt sich den dargebotenen Blumenstrauß und - wie sicher sie sich war - die bereitgelegte Flagge Portugals für die Ehrenrunde. Es dauert einige Minuten, Mota steht längst bei den Fotografen, ehe Ivanova ankommt, gefolgt von der Französin Villeton. Auf Gabriela Wolf müssen die Zuschauer noch etwas warten, mit 2:45,18 Std. wird sie 23. Sie ist nicht zufrieden damit, aber immerhin ist sie durchgekommen. Bei der Hitze und solchen Straßen. Am Ende ist sie noch an einigen vorbeigelaufen, die waren mit Blasen an den Füßen am Humpeln, einige konnten nur noch gehen. Wolf selber wirkt schon nach wenigen Minuten gut erholt. Und natürlich wird morgen wieder gelaufen, wenigstens eine halbe Stunde. Schließlich hat sie in diesem Jahr noch mehr vor: Marathon in Tokio und New York. Dort trifft sie vielleicht Rosa Mota, aber dafür müssen die Veranstalter allerdings mehr zahlen als nur die Spesen. Frauen–Marathon ist längst ein gutes Geschäft: 50.000 Startgeld, dasselbe für den Sieg, 100.000 bei einer Zeit unter 2:20 Std. Von der Olympiasiegerin Joan Benoit heißt es, sie habe nach Los Angeles Werbeverträge für eine siebenstellige Summe unterschrieben. Alles in Dollar natürlich. Gold und goldige Zeiten für Rosa Mota.