Die Zeitbombe am Golf tickt

■ Aus Manama William Hart

Nach mehrwöchiger relativer Ruhe ist die Lage am Golf am Wochenende in einem Maße eskaliert, daß eine direkte Konfrontation zwischen dem Iran und den USA in allernächster Zeit nicht mehr auszuschließen ist. Irakische Kampfflugzeuge haben am Wochenende erstmals seit dem 13. Juli wieder iranische Ölexporteinrichtungen und Tanker mit Raketen beschossen oder bombardiert. Teheran kündigte als Vergeltung den Beschuß von Industriezentren nahe der irakischen Hafenstadt Basrah an. Vergeltungsaktionen könnten „jede Möglichkeit treffen, durch die Irak seine Kriegsmaschinerie verstärkt“, hieß es zudem in einem Brief des iranischen Außenministers Felayati. Felayati bezeichnet die Luftangriffe als Ausweitung des Krieges in einer Situation, in der sich dieser gerade beruhige. „Von jetzt an werden wir sie auf dem Wasser schlagen und all ihre ökonomischen Adern zerstören, mit denen sie ihre Aggression finanzieren“, erklärte Iraks Staatspräsident Sonnabend nacht in einer Rundfunkansprache. Fortsetzung auf Seite 6 Während am Samstag iranische Ölexporteinrichtungen auf den Golfinseln Lavan, Sirri, Rakash und Farsi angegriffen und am Sonntag der Erdölhafen Kharg und ein Supertanker beschossen wurden, bombardierten irakische Flugzeuge Kraftwerke und eine Satellitenstation in Westiran. Noch am Freitag hatte Irans Staatspräsident Khamenei für den Fall der Wiederaufnahme der irakischen Angriffe auf Ölexporte seines Landes bekräftigt, daß kein Land, „weder die USA noch ein anderes Land“, die islamische Republik an ihren Vergeltungsaktionen gegen Ölexporte anderer Länder hindern könne. Die Teheraner Reaktionen auf die Wiederaufnahme der Angriffe sind jedoch wesentlich zurückhaltender. In den vergangenen Wochen waren als Vergeltungsziele Ölpipelines Iraks und Saudi–Arabiens, kuwaitische und saudi–arabische Industriezentren und Schiffe auf der arabischen Seite des Golfes genannt worden. Mehrfach hatten Teheraner Po litiker erklärt, auch der Geleitschutz durch US–Kriegsschiffe werde die islamische Republik nicht von Angriffen auf seit dem 21. Juli unter US–Flagge fahrende kuwaitische Tanker abhalten können. Die Praxis der vergangenen Wochen hat jedoch gezeigt, daß Iran derzeit kein Interesse an einer militärischen Konfrontation mit den US–Kriegsschiffen im Golf hat. Seit Samstag ist der vierte Konvoi, der aus zwei kuwaitischen Tankern und mindestens vier US–Kriegsschiffen besteht, im Golf Richtung Kuwait unterwegs. Es wird sich zeigen, ob Teheran tatsächlich US–geschützte Konvois angreifen will. Die irakischen Luftangriffe erfolgten vor dem Hintergrund der Weigerung Irans, die UN–Waffenstillstandsresolution zu akzeptieren. Der stellvertretende iranische Außenminister Mohammad Djavad Larijani hatte Mitte der Woche in New York erneut erklärt, sein Land akzeptiere nur Teile der UN–Resolution. Da Teheran durch geschickte diplomatische Aktionen einen Teilfrieden für den Golf durchsetzen wollte und weder der UN–Sicherheitsrat noch die Liga bereit waren, Sanktionen gegen Iran zu verhängen, dürfte Irak sich für die Wiederaufnahme der Luftangriffe entschieden haben. Alle iranischen Spitzenpolitiker hatten sich in den vergangenen Tagen für eine Intensivierung des Landkrieges gegen Irak ausgesprochen. Irak will mit seinen Luftangriffen offensichtlich verhindern, daß Iran die finanziellen Mittel zur Vorbereitung einer Großoffensive durch weiterhin hohe Ölexporte erhält. Die Montagsausgabe des Spiegel enthält Meldungen aus Bonn, wonach Iran bereit sein soll, einem Waffenstillstand zuzustimmen. Die Information, der „Oberste Iranische Verteidigungsrat“ wolle dies auf seiner kommenden Sitzung beschließen, dürften vor dem Hintergrund der Äußerung der iranischen Spitzenpolitiker in den vergangenen Tagen entweder vom Hamburger Magazin erfunden worden sein, oder es handelt sich um gezielten Bonner Zweckoptimismus, um davon abzulenken, daß die Bundesrepublik ihre Präsidentschaft im UN–Sicherheitsrat nicht genutzt hat, um ein Waffenembargo gegen Iran zu verabschieden.