Schadensersatz für richterliche Vobo–Hysterie?

■ Nach der größten Postbeschlagnahmeaktion der letzten Jahre fordert die taz jetzt Schadensersatz / Circa 50 an Redaktionsmitglieder adressierte Briefe wurden abgefangen

Von Vera Gaserow

Berlin (taz) - Runde 100 Mark plus 8 mit einer Schadensersatzklage vom Berliner Justizsenator dafür einfordern, daß im Mai dieses Jahres auf richterlichen Beschluß hin die taz–Post nicht im Briefkasten in der Wattstraße landete, sondern auf dem Tisch der Staatsanwaltschaft. Die Schadenssumme klingt lächerlich gering, doch könnte diese eher symbolische Geldforderung der Berliner Jusitz unter Umständen einige Schwierigkeiten bereiten. Anhand dieser Schadensersatzklage nämlich wird jetzt ein Amtsgericht darüber zu entscheiden haben, ob die bisher größte richterliche Postbeschlagnahmeaktion der letzten Jahre, die Briefbeschlagnahme bei zahlreichen Berliner Vobo– Sammelstellen im Mai dieses Jahres, rechtmäßig war oder nicht. Mit formularmäßigen Beschlüssen hatte damals eine Berliner Amtsrichterin auf Antrag der Staatsanwaltschaft das grundgesetzlich geschützte Postgeheimnis für die als Sammelstellen für Altpapier angegebenen Naturkostläden, Apotheken, Buchläden und Einrichtungen von A wie Alternative Liste bis T wie Tageszeitung außer Kraft gesetzt. Bei der taz wurden nach Angaben der Post 50, nach Angaben des Gerichts 17 Briefe, die z.T. namentlich an einzelne Redaktionsmitglieder adressiert waren, abgefangen, obwohl die taz ausdrücklich öffentlich darauf hingewiesen hatte, daß „auf dem Postwege eingegange nes Altpapier leider nicht seiner Bestimmung zugeführt werden kann“. Gerichtliche Beschwerden der betroffenen Sammelstellen gegen diese beispiellose Beschlagnahmeaktion, waren bisher erfolglos. Sowohl das Berliner Landgericht als auch das Kammergericht segneten die Postbeschlagnahme mit der formalen Begründung ab, da die Aktion vorbei sei, bestehe im nachhinein kein Klärungsbedarf mehr über deren Rechtmäßigkeit. Bei der Prüfung der Schadensersatzforderung der taz wird sich nun möglicherweise erstmals ein Gericht detailliert mit der Zulässigkeit einer solchen massenweisen Aushebelung des Postgeheimnisses beschäftigten müssen. Und wenn sich die Richter wirklich intensiv mit dieser Staatsaktion be– schäftigen sollten, werden sie im nachhinein Zeuge werden, wie Polizei, Staatsanwalt, Gerichte und politisch Verantwortliche in einer Nacht– und Nebelaktion mit Wochenendhektik und Schlamperei der Vobo–Bewegung beizukommen versuchten. Die größte Postbeschlagnahmeaktion der letzten Jahre wurde nämlich keineswegs sorgfältig vorbereitet, wie man es sich bei einem so gravierenden Schritt wie der partiellen Außerkraftsetzung des Postgeheimnisses vorstellen könnte. Obwohl schon seit langem klar war, daß decodierte unausgefüllte Volkszählungsbögen bei öffentlich benannten Sammelstellen abgegeben werden sollten, fiel dies der Berliner Polizei erst am 21. Mai als ein Schaden für die „Allgemeinheit“ auf, und ein Kriminaloberkommissar schlug Alarm. Einen Tag später, an einem Freitag, beantragte Staatsanwalt Dahlheimer beim Berliner Landgericht daraufhin einen Postbeschlagnahmebeschluß für sämtliche eingegangene und noch eingehende Post der Berliner Sammelstellen. Seine Kollegin, die Amtsrichterin Fölster, zeigte sich noch am selben Tag sehr schreibfreudig und fertigte im Zuge des Ermittlungsverfahrens gegen die unbekannten Aufrufer zum Volkszählungsboykott formularmäßige Postbeschlagnahmebeschlüsse ohne sorgfältige Einzelfallprüfung aus. Schon am folgenden Tag, einem Samstag, sollte die Aktion „Vobo–Post“ bei den Postämtern starten, doch da mischte sich die Exekutive in die so unabhängige Justiz ein. Staatssekretär Müllenbrock, die ganz rechte Hand von Berlins Innensenator Kewenig, stoppte die Aktion und verlangte angesichts der Brisanz der Maßnahme Rücksprache mit seinem im Wochenendurlaub weilenden Chef. Ohne die Staatsanwaltschaft von dieser Verschiebung zu benachrichtigen, setzten im Innensenat und bei der Polizei hektische Diskussionen ein und am Samstag früh schließlich gab der Chef des Berliner Staatsschutzes, Ganschow, dann grünes Licht für die Aktion, die eigentlich hätte sofort in die Tat umgesetzt werden müssen. Als die Postämter dann am Volkszählungsstichtag erstmals die Post der Berliner Vobo–Sammelstellen zurückhielten und in gesonderten Umschlägen der Staatsanwaltschaft übergaben, gab es wieder Irritationen. Die Beschlagnahmebeschlüsse waren von der Amtsrichterin so schlampig ausgeführt, daß Namen und Adressen nicht stimmten, Beschlüsse doppelt ausgefertigt und teilweise unausführbar waren wie z.B. bei der Technischen Universität, wo nur ein Raum als Sammelstelle angegeben war, der Postbeschlagnahmebeschluß aber so ausgefertigt war, daß die gesamte Unipost hätte einkassiert werden müssen. Nach irritierten Rückfragen korrigierte schließlich der Oberstaatsanwalt den Beschluß der Richterin. Telefonisch korrigierte auch die zuständige Richterin im nachhinein noch ihre eigenen Beschlüsse. Einem Postamt war das zuviel an Eingriffen und es verweigerte den Gerichten zumindest die Sammelstellen–Post, die an einzelne Personen namentlich adressiert war. Im nachhinein äußerte auch ein Amtsrichter, der zur Kontrolle der beschlagnahmten Post eingesetzt war, Bedenken an der Rechtmäßigkeit und Verhältnismäßigkeit dieser beispiellosen Beschlagnahmeaktion, doch da hatte Oberstaatsanwalt Thiele am 27. Mai das ganze eh schon abgebrochen. Da die heimliche, für unbestimmte Zeit angeordnete Postbeschlagnahme inzwischen öffentlich geworden war, hob man sie genauso schnell wieder auf, wie man sie eingeführt hatte.