Janz Berlin glotzt pyroman(t)isch

■ Über eine Million Berliner beim größten Feuerwerk Europas / Zum 750–Jahr–Fest japanische Lichtblüten über dem US–Airport / 300.000 Mark in die Luft geschickt

Aus Berlin Vera Gaserow

Ein Höhepunkt der 750–Jahr– Feier sollte es sein, was am Sonntag abend in Berlin eine wahre Völkerwanderung auslöste. Ein Höhepunkt war es dann im wahrsten Sinne des Wortes auch, als 19 eigens aus Japan eingeflogene Feuerwerker ihr Zündelwerk begannen: Teilweise 500 Meter hoch öffneten sich über dem US– Militärflughafen Tempelhof einen halben Kilometer breite Lichterblumen am Abendhimmel. Begleitet von „Ahhs“ und „Oohs“ flogen eineinhalb Stunden lang insgesamt 7.314 japanische Feuerwerkskörper in die Luft und hörten nicht auf, überraschende Blüten in die Nacht zu malen. Ganz profan umgerechnet waren es runde 300.000 Mark, die dort in Form von handgefertigten Pyro–Körpern zum gigantischsten Feuerwerk Europas in den Himmel geschickt wurden, aber zum 750jährigen Jubiläum der Stadt ist deren Vätern nichts zu teuer. Und die jubiläumsgesättigten Berliner nahmen auch diese Alltagsunterbrechung bereitwillig mit, nach Wasserkorso, Tour de France, Sternstunden und wie der ganze Jubiläumsklimbim heißt, da kann auch ein Feuerwerk nichts mehr schaden. Die Touristen aus Westdeutschland und die ungezählten „Schwarzgucker“ aus dem Ostteil der Stadt einmal abgerechnet, waren insgesamt über eine Million Berliner am Sonntag abend auf dem Weg zum „Sozo Hanabi“ und „Waridama“ oder wie japanische Feuerwerkskörper sonst noch heißen. Mindestens jeder zweite Berliner war unterwegs, um einen hochhaus– und baum–freien Ausblick irgendwo in der Stadt zu ergattern. 800.000, so meldeten gestern die Veranstalter, waren - sei es mit oder ohne Eintrittskarte - auf das Flugfeld des Militärflughafens Tempelhof geströmt. Insgesamt 400.000 hatten schon Stunden zuvor in der Umgebung die Straßen blockiert, andere hatte sämtliche Erhebungen der Stadt als Aussichtspunkte besetzt: Baugerüste, Dachterrassen und selbst weit entlegene Trümmerberge waren längst als Geheimtips ausgebucht, und glückliche Mieter strategisch günstig gelegener Wohnungen hatten vorher schon über Eintrittspreise für ihre Aus sichtsplattform spekuliert. Einige ganz pfiffige Feuerwerkssüchtige hatten sich bei der Suche nach einem günstigen Platz jedoch auch gehörig verkalkuliert. Vor Urzeiten als gewaltig empfundene Erderhebungen entpuppten sich als jämmerlich niedrig, und das nicht gerade üppige Berliner Grün schien plötzlich so in die Höhe geschossen, daß erwartungsvoll Harrende auch nach anderthalbstündigem Feuerwerk immer noch fragten, wann es denn endlich anfange. Pech hatten auch Tausende, die den Aufrufen der Polizei gefolgt waren, ihr Auto zuhause zu lassen. Hunderttausende von Fahrgästen zur selben Zeit konnte auch die Berliner U–Bahn nicht verkraften, und so sahen etliche anstelle des pyromantischen Lichterregens nur das freundliche Schwarz eines U–Bahnschachts, in dem sich kein Zug mehr vor und zurück bewegte. Den Glücklichen, die es mit ihren Klappstühlchen und hunderttausend anderen geschafft hatten, an den Ort des Geschehens zu kommen, bot sich eine wahre Lichterorgie am Himmel, bei der die Besucher am Ende jedoch enttäuscht feststellen mußten, daß in Zukunft wohl jedes andere Feuerwerk „popelig“ erscheinen wird. Und die Berliner wären auch nicht die Berliner, wenn sie ob dieses gigantischen Spektaktels in feierliche Begeisterung ausbrechen würden. „Na, da hamse wieder jespart, hätt ja ruhig nochn bißjen höher sein können, wa?“ und „Det war schon allet?“ waren die selbst–ironischen Kommentare, als die ersten sich schon lange vor dem Ende des Spektakels auf den Nachhauseweg machten und die „Kindersammelstelle“ inzwischen 200 hilflos herumirrende Kinder registriert hatte, von denen drei noch nachts um 2 Uhr elternlos waren. Und Berlin wäre auch nicht Berlin, wenn nicht im Wettkampf der Systeme zeitgleich auch der „Osten“ ein Feuerwerk abgefeuert hätte. Schließlich feiert man dort dasselbe Stadtjubiläum - bloß nicht so japanisch.