Die Macht der amerikanischen Fernsehprediger

■ Der Skandal um Jim Bakker, den Chef einer 500.000–Seelen–Fernsehgemeinde von Evangelikalen, hat die Glaubwürdigkeit der Fernsehprediger angeknackst Dennoch haben die konservativen Protestanten in ihren zahlreichen Organisationen in den USA mit ihren 221 Fernsehsendern enormen politischen Einfluß

Von Tina Glitz

Seine tränengetränkten Fernsehappelle an die „Betpartner“, ihre Kirche vor dem angeblich immer unmittelbar bevorstehenden Ruin zu retten, brachten die Spendendollar zum Rollen. Rund 500.000 verpflichteten sich, monatlich zwanzig Dollar zu überweisen, dazu kamen noch die Großspender: Unternehmer und Firmen. Als Jim Bakker (der Name wird wie „Baker“ ausgesprochen) im März zum ersten Mal negative Schlagzeilen machte, verwaltete er ein Imperium evangelikaler Protestanten mit dem Namen PTL. Das Kürzel steht gleichzeitig für „Praise the Lord“ (Gelobt sei der Herr) und „People that Love“ (Menschen, die lieben ). Der Verkaufswert des PTL–Kabelfernsehsenders allein wurde auf 50 Millionen Dollar geschätzt, die Zahl der Zuschauer auf knapp 14 Millionen. Und „Heritage USA“, das kircheneigene Gegenstück zu Disneyland, das im letzten Jahr rund sechs Millionen Besucher beglückte, ist fast 180 Millionen Dollar wert. Selbst prominente Politiker halfen mit beim Erfolg des Bakker–Unternehmens: Das Ehepaar Carter betete zusammen mit dem Ehepaar Bakker im Weißen Haus, und Präsident Reagan lud die Bakkers zu seiner Amtseinführung ein. Er war des Lobes voll für ihren so beispielhaften Wohltätigkeitsverein, der ja vielleicht die durch gekürzte Sozialausgaben entstandenen Lücken füllen könnte. Doch im vergangenen März war das Idyll zu Ende: Jim Bakker mußte zugeben, daß er - vor sieben Jahren - mit seiner damals 19jährigen Sekretärin „Ehebruch begangen“ hatte. Angehängt wurde ihm dann gleich auch Homosexualität, und vor allem soll er Millionen von Spendendollar in Luxusautos und Eigenheime verwandelt haben. Bakkers Ehefrau Tammy bezog für ihr Mitauftreten in den religiösen Fernsehshows ein solches Gehalt, daß sie sich neben Sportwagen, Juwelen und regelmäßigem Drogenkonsum (samt Entziehungskur) auch ein vollklimatisiertes Häuschen für ihre Schoßhunde leisten konnte. „Gott will, daß jeder in einem erstklassigen Stil lebt“, rechtfertigten die Bakkers das Luxusleben in ihrer Fernsehsendung, die jede Woche Millionen erreicht. Das Argument mochte amerikanische Protestanten wohl auch deshalb überzeugen, weil sie wie ihre puritanischen Vorfahren geneigt sind, materiellen Wohlstand als Zeichen göttlicher Gnade zu deuten. Im März erfuhr die Öffentlichkeit, daß von den 129 Millionen Spendendollars, die 1986 eingegangen waren, nur knapp drei Prozent für wohltätige Zwecke ausgegeben wurden. Statt dessen machte Bakker noch 70 Millionen Dollar Schulden. Das PTL–Unternehmen hat schon einmal die Aufmerksamkeit der Behörden auf sich gelenkt: 1979 leitete die „Federal Communications Commission“ eine Untersuchung ein, die stichhaltige Beweise für fragwürdiges Management zu Tage förderte. Unter Reagans Präsidentschaft wurde die Untersuchung dann ohne Erklärung abgebrochen. Damals wetterte Bakker über die „satanischen Angriffe“ der Regierung auf PTL und konnte damit einen Propagandaerfolg verbuchen. Das wird ihm diesmal nicht gelingen. Sollte eine Überprüfung des Finanzamts bestätigen, daß steuerfreie Spendengelder in die privaten Taschen der Kirchenhierarchie geflossen sind, müßten Millionenbeträge nachgezahlt wer den. Das könnte für die Organisation den finanziellen Ruin bedeuten. Auf alle Fälle hat das religiös untermauerte Märchendasein der Bakkers erstmal ein Ende. Auch von Jesus verlassen Jim Bakker wurde von seiner Kirche „Assemblies of God“ das Pfarramt abgesprochen; seine Position als Vorsitzender der PTL wurde von seinem Konkurrenten Jerry Falwell übernommen. Obwohl die PTL–Gemeinde enttäuscht ist, glaubt und betet die Mehrzahl der Anhänger wie immer. Sie betet auch für die armen Bakkers, die Satans Versuchungen erlagen. Doch es bleibt unklar, was schlimmer ist: die sexuellen Vergehen oder die Veruntreuung von Spendengeldern. Das Ehepaar zeigt sich in der Öffentlichkeit einträchtig, ein wenig demütig und sehr kampfbereit. Per Fernsehshow bitten sie um Nachsehen. Tausende haben sich daraufhin gemeldet, um der Kirche zu helfen. Bakkers Vergehen werfen ihre Schatten auf das Image aller Fernsehpfarrer, deren Glaubwürdigkeit seit März einen Tiefpunkt erreicht hat. Spenden sind bis zu 25 Prozent niedriger als in den vorherigen Monaten. Sogar in der Country–Western–Scene wird gezweifelt: Ein populärer Song beschreibt, wie sich Jesus von den reichen TV–Pfarrern abwendet. Im Publicity–Rummel, der um das Schicksal der PTL und ihrer Gründer gemacht wird, spiegelt sich die politische Macht der Prediger. Die Machenschaften einer Gemeinde werden, stellvertretend für alle, unter die Lupe genommen. Wer meint, daß sich untereinander konkurrierende evangelische Sekten und Gruppen über die Bedrängnisse der PTL freuen, weil sie nun die Mitglieder untereinander aufteilen können, irrt sich. Die Prediger sehen vielmehr ihren Einfluß in der amerikanischen Politik, Gesellschaft und Kultur durch die jüngsten Ereignisse bedroht. Für die politische Strategie der konservativen Protestanten sind die Bakkers nicht unentbehrlich, das Ansehen der PTL, das Vertrauen der „Betpartner“, und die öffentliche Meinung hingegen schon. Die Macht der amerikanischen Evangelikalen, denen sich heute etwa 20 Prozent aller US–Bürger zurechnen, hat in den letzten 15 Jahren erheblich zugenommen. Sie sind keine geschlossene Gemeinde, sondern eine Bewegung, die verschiedene Gruppierungen orthodoxer und konservativer Protestanten einschließt. Ihr Einfluß begrenzte sich früher vornehmlich auf ländliche Gebiete und arme ungebildete Bevölke rungsschichten. Aber in den siebziger Jahren hat sich ihre Religion modernisiert. Prediger wandten sich sogenannten „Stadtproblemem“ zu wie Familienzerrüttung oder Drogenabhängigkeit. Das demographische und sozio–ökonomische Profil der Gemeinde hat sich dementsprechend gewandelt: Die Hälfte der Gläubigen lebt heute außerhalb der Südstaaten; jeder Dritte bezieht ein Jahreseinkommen von über 30.000 Dollar; jeder Fünfte hat eine Hochschule besucht. Obwohl alle Evangelikalen konservative Protestanten sind, bedeutet das nicht, daß sie einer einheitlichen religiösen Doktrin folgen. Die Bakkers ordnen sich den „charismatischen Christen“ zu. Ihr Gott ist nicht sehr anspruchsvoll, sondern bejaht den modernen Zeitgeist des individuellen Glücks und der Selbsterfüllung. Auf der anderen Seite des religiösen Spektrums befinden sich die Fundamentalisten. Ihr gestrenger Anführer, Pfarrer Jerry Falwell, interpretiert die Bibel wörtlich, hat äußerst rigide Moralvorstellungen und erwartet von seiner Gefolgschaft beispielhaftes Verhalten und strikten Antikommunismus. In Bakkers Gemeinde wird das „Sprechen in fremden Zungen“ als göttlicher Dialog gelobt, Gebrechen und Krankheiten werden durch Handauflegen geheilt; Falwell sieht beides als Auswuchs teuflischer Machenschaften. Die verschiedenen protestantischen Gruppierungen haben gemeinsam, daß alle Gläubigen „ein zweites Mal geboren“ wurden, indem sie eine direkte persönliche Begegnung mit Gott hatten. Sie sind überzeugt, daß sowohl Satan als auch Jesus eine direkte Wirkung in ihrem Leben anstreben, so daß sie einem andauernden Kampf zwischen Gut und Böse ausgesetzt sind. Von ihren Predigern erwarten sie konkrete Hilfe in diesem Kampf. Sie beten für die Teenage– Tochter, die von zu Hause weggelaufen ist, oder sie erhöhen ihre Spenden, wenn Gott ihnen die Kraft gegeben hat, das Rauchen aufzugeben. Die Mehrheit vereinbart ihren strengen Glauben mit einem erfolgreichen, professionellen Lebensstil. Die „moderaten“ Prediger wollen der Umwelt ihren Glauben nicht aufzwingen oder überstülpen, sondern durch ihr erfolgreiches irdisches Leben überzeugen. Sie stehen Jerry Falwells Fundamentalisten kritisch gegenüber, weil jene das Recht beanspruchen, Sünder zu bekehren. Trotz dieser - nicht unwesentlichen - Differenzen sind alle Prediger darauf bedacht, ihre Religion als eine wesentliche Kraft in der amerikanischen Gesellschaft auszubauen und mit ihrer Religion Politik zu machen. Statistiken beweisen ihren Erfolg. 221 evangelikale Fernsehsender Ende der siebziger Jahre haben Prediger durch raffinierte Marketing–Strategien, vor allem den Einsatz von Fernsehshows und -predigten, Auftrieb gewonnen. So wichtig ist die Rolle des Fernsehens, daß die verschiedenen religiösen Gruppierungen gerne unter der Bezeichnung „Televangelisten“ zusammengefaßt werden. Die Stars der „Evangelistenshows“ sind (neben den Bakkers) Jerry Falwell, Oral Roberts, der republikanische Präsidentschaftskandidat Pat Robertson und Jimmy Swaggart, Cousin des Rockmusikers Jerry Lee Lewis. Es gibt heute in den USA 221 christlich–protestantische Fernsehsender und 60 verschiedene Programme, die regelmäßig ausgestrahlt und von etwa 40 Prozent des Fernsehpublikums gesehen werden. Das Christian Broadcasting Network, das von dem republikanischen Präsidentschaftskandidaten Robertson geführt wird, ist das viertgrößte Sendernetz in den USA, hat ein Jahreseinkommen von über 200 Millionen Dollar und strahlt seine Programme in 65 verschiedene Länder aus. „National Religious Broadcasters“ (NRB) nennt sich der Dachverband, der sowohl alle evangelikalen Sender als auch die verschiedensten Organisationen der evangelikalen Bewegung vereinigt; im Vorstand sitzen alle bekannten „Televangelisten“. Heute sind etwa 1.125 Organisationen - etwa tausend mehr als vor 20 Jahren - dem NRB untergeordnet. Ein Blick auf die Aussteller und Teilnehmer der 1986 gehaltenen Jahrestagung des NRB beweist, daß es den „Televangelisten“ keineswegs nur um Religion geht. Die südafrikanische und taiwanesische Regierung und die US–Armee hatten dort ihre Stände zwischen etlichen „christlichen“ Gruppen, Reagans SDI–Programm, seine Interventionspolitik in der „Dritten Welt“ und propagierten einen rabiaten Antisowjetismus (z.B. High Frontier, Friends of the Americas, Gospel Crusade, Marantha). Die religiösen Fernsehsendungen sind gespickt mit Antikommunismus, Patriotismus und Aufrufen zu politischem Handeln. Sie haben Wirkung: Reagans Wahlsiege sind nicht zuletzt dem von Bildschirm und Kanzel mobili sierten Wählerblock zuzuschreiben. 1984 wählten ihn 80 Prozent der Evangelikalen. Auch 1986 wurden alle Kongreßkandidaten von der Gruppe Christian Voice nach einem „biblischen Punktesystem“ eingestuft. Pat Robertson, der keinen Hehl aus seinen Kontakten zum CIA macht, die er schon als „Schutzengel“ bezeichnet hat, ruft Evangelikale dazu auf, die Schlacht um Seelen auf allen Ebenen der US–Regierung zu führen. Falwells Imperium In der Tat scheint es heute unmöglich, als konservativer Präsidentschaftskandidat ohne Jesus auszukommen. Jerry Falwell ist sicher der einflußreichste Repräsentant der evangelikalen Bewegung. Zwar ist seine Rhetorik nicht mehr so schrill wie in den frühen achtziger Jahren, aber das sollte nicht darüber hinwegtäuschen, daß er seine Macht weiterhin systematisch ausbaut. Zusätzlich zu seiner Moral Majority– Organisation, die den sozialen und innenpolitischen Problemen des Landes von rechts begegnet, hat Falwell die „Liberty Foundation“ gegründet, die mit ihren sechs Millionen Anhängern Reagansche Außenpolitik propagiert. Für die Zukunft seiner Religion - und seiner Politik - sorgt Falwell mit seiner „Liberty University“, auf deren Gelände ein großer Grabstein zum Gedenken der (abgetriebenen) „ungeborenen Kinder“ steht und ein Museum, das die biblische Version von der Entstehung des Menschen „wissenschaftlich“ rekonstruiert. Bis zum Jahr 2000 soll die Zahl der Studenten dort von 7.000 auf 50.000 erhöht werden. Falwells Gesamteinnahmen aus Universität, politischen Gruppen und Kirche betrugen im Jahr 1986 84 Millionen Dollar. Sein tatsächlicher Einfluß ist schwer einzuschätzen, aber die Entscheidung, ihn an die Spitze von Bakkers immer noch sehr machtvollen Organisation zu setzen, zeigt, daß er erheblich ist. Den Exzessen der Bakkers sollen die strengen Regeln und Ansprüche eines Fundamentalisten entgegengesetzt werden, um so die Glaubwürdigkeit der Evangelikalen wiederherzustellen. Die Vermutung liegt nahe, daß Falwell die PTL rehabilitieren will, um sie in sein Machtimperium integrieren zu können. Das Schicksal des PTL–Unternehmens ist noch nicht entschieden. Bakker verlangt, seine Gemeinde wieder führen zu dürfen und kann mit etlichen treuen Anhängern rechnen. Ehefrau Tammy hat sich im Kosmetiksalon ein weniger grellbuntes Image zugelegt. Der von ihnen engagierte Rechtsanwalt, Melvin Belli, ist so berüchtigt, wohlhabend und auffallend, wie es der Lebensstil der Bakkers war. Heute, so behauptet der Telepfarrer, sei er arm wie eine Kirchenmaus. Natürlich würde er Gott gerne freiwillig dienen, wenn dieser es so wollte. Aber vorerst verlangt er ein lebenslängliches Gehalt von 300.000 Dollar pro Jahr. Falwell zeigt sich über soviel Dreistigkeit und Gier entsetzt und verweist geschickt auf Bakkers angebliche Homosexualität und fragwürdige Moralvorstellungen: „Ich liebe Richard Nixon, so wie viele andere Menschen auch, aber deshalb kann man ihn doch nicht wieder Präsident machen. Für jemanden zu beten ist eine Sache. Jemand in Führungspositionen zu befördern, eine andere.“