Glockengeläut zum Ende des Geiseldramas

■ Nach der Aufgabe der Geiselnehmer in Porto Azurro auf Elba bleibt dem Bürgermeister ein Rest an Ärger über die Journalisten / Angelockt vom Gefängnisdrama berichteten viele über die Öko–Zerstörung der Tourismus–Insel

Aus Porto Azzurro Werner Raith

Noch kurz vor dem undramatischen Ende der Geiselrevolte fiel der Blick „nach oben“ Giuseppe Papi, Bürgermeister der 3.000–Seelen–Gemeinde Porto Azzurro auf Elba, „immer schwerer“ - unklar, was genau „da oben“ bedeutet: „oben“, über der Stadt, im spanischen Kastell, wo im dort eingebauten Gefängnis sechs Lebenslängliche mehr als zwei Dutzend Personen festhielten und einen Hubschrauber zur Flucht verlangten: „oben“ aber auch „die aus Rom“, die „dort feine Krisensitzungen abhalten und vergessen, daß hier einige hundert Verwandte der Geiseln längst nicht mehr verstehen können, warum man den Gefangenen den Hubschrauber nicht gibt“ - sie werden doch, in Gottes Namen, die Handvoll Gangster wieder einfangen können - „das Leben der Menschen in ihren Händen ist doch unendlich viel wichtiger als das Rechtbehalten des Staates“, wie Riccardo Lombardi sagte, Vater des vom Neofaschisten Mario Tuti und fünf sardischen Banditen ebenfalls festgehaltenen Gefängnispsychologen; an die von den Carabinieri verbreitete Kunde, ein Achtmann– Helikopter könne auf dem Knast– Gelände nicht langen, mochte er „nicht glauben“ - „die haben doch da ein eigenes Fußballfeld drinnen“. „Oben“, das ist für den Bürgermeister aber auch sein eigener christdemokratischer Parteichef Ciriaco De Mita, den er persönlich um eine Intervention zugunsten der „Hubschrauber– Partei“ gebeten hatte. „Alles geht hier kaputt, alles, alles“, lamen tierte Papi, „die Aufbauarbeiten so vieler Jahre.“ Doch irrt, wer dahinter eine Anspielung auf den liberalisierten Strafvollzug in Italien vermutet. Papi sorgte sich, wie auch sein Kollege auf der anderen Inselseite in Porto Ferraio, um eines: Hunderte von Journalisten, gelangweilt, weil die Ver handlungen immer wieder auf der Stelle traten, hatten mit „Herumstreunen auf der Insel“ begonnen und werden von „gewissenlosen Umweltschützern ungeniert für deren Ziele eingespannt“. So haben schon mehr als ein Dutzend Korrespondenten in– und ausländischer Medien nach Inselrund fahrten oder nach dem Erklettern des 1.000 Meter hohen Monte Capanne immer weniger über die Revolte als über das umstrittene Kohlekraftwerk Piombino auf dem Festland gegenüber berichtet - erstmals haben sie wohl persönlich den herüberwabernden Geruch und den sichtbaren Schmutz im Gefolge der Transportschiffe und der KKW–Ausscheidungen wahrgenommen. „Was eine Attraktion hätte werden können“, vermutete der Gastronomenverband in Rio Marina, „der Besuch auf der Revolten–Insel - die Touristen strömen immer dorthin, wo was los war - verkehrte sich nun ins Gegenteil. Verursacht wurden die „Nebenerscheinungen“ nach Ansicht Bürgermeisters Papis, weil „die Journalisten halt über irgendwas berichten müssen und die Behörden immer wieder unvorsichtig eine bevorstehende Lösung angekündigt haben, die dann aber nicht kam“. Da war der Präsident des Gefangenenhilfsverbandes eingerückt, dann der Generaldirektor der italienischen Knäste, dann der Justizminister und nun haben die Journalsiten auch noch einen Abgesandten von „amnesty international“ ausgemacht - immerhin ein Zeichen, daß die Häftlinge neutrale Zeugen für ihre Abmachungen wollten. Vier Rechtsanwälte, Vertreter der Häftlinge in den letzten Prozessen, saßen seit Montag nachmittag mit den geiselnehmern zusammen, die Behörden sprachen, wieder optimistisch, von einer „juristisch einwandfreien Lösung“ (mit der Formel: „Sie werden wegen Geiselnahme verurteilt, doch dann wird Milde walten“); doch was die Geiselnehmer selbst sagten, blieb bis jetzt dem Feld der Spekulationen überlassen. Aus dem Flugzeug konnte man noch am Montag mit starken Fernrohren, an die Fenster gefesselte Geiseln sehen - Tuti und seine Kumpel hatten der Möglichkeit eines Blitzangriffs der allenthalben postierten „NOCS“–Kommandos (einer Art GSG–9–Truppe) vorgebeugt. Gerüchte schwirrten umher, daß der Neofaschist Tuti nicht mehr Sprecher der Gruppe sei, weil er seit einigen Tagen nicht mehr aus dem Gefängnis heraustelefoniert hat; doch ein von den Häftlingen freigelassener Wärter sagte, daß es keine Hoffnung auf eine Spaltung der Gruppe gebe - „die wollen raus, sonst nichts“. Plötzlich, am Dienstag morgen nähert sich ein doppelflügiger Hubschrauber nähert sich der Insel. Fehlalarm - es war ein US–Gefährt, das sich wohl verflogen hatte. Ein paar Stunden später kam dann die Meldung: Die sechs Meuterer in dem Gefängnis von Porto Azzurro auf Elba haben am Dienstag ihre Geiseln freigelassen und sich ergeben, teilte die Strafvollzugsanstalt mit. Als das Ende des Geiseldramas bekannt wurde, läuteten in Porto Azurro die Glocken aller Kirchen.