Sportlich und „liberal“ gegen Springer

■ Anstelle des „kompletten linken“ Sonntagsblattes startet die RevierRundschau am 6.September mit einer Sportzeitung für das Ruhrgebiet / Profil und Konzeption der späteren „Alternative zu Bild und WAZ noch unklar / Marktanalyse prognostiziert eine mögliche Auflagenobergrenze von 300.000 Exemplaren

Aus Essen Petra Bornhöft

Wer Springers Bild am Sonntag (BamS) Konkurrenz machen will, darf keine Berührungsängste verspüren. Und das tun sie nicht, die Initiatoren der „Alternative zu Bild und WAZ für das Ruhrgebiet und Bergische Land. Terroristenfahndungsplakate hängen am Aufgang zur Fabriketage der RevierRundschau (RR), direkt über einer Essener Polizeiwache gelegen. Von den großzügigen, weiß getünchten Büros, ausgestattet mit modernster Technik, können Feierabendredakteure und selbst vergleichsweise etablierte taz–Korrespondentinnen nur träumen. Doch die elf Männer und vier Frauen basteln auch nicht an irgendeinem selbstausbeuterischen Alternativprojekt. Sie schuften für die erste Ausgabe der Revier– Sportschau. 40 Seiten stark, wird das Produkt am 6. September in den Kiosken und Tankstellen neben der BamS liegen. Ursprünglich wollten die RR– Macher an diesem Tag in das von Springer beherrschte Sonntagsgeschäft einsteigen mit einer „aktuellen, thematisch kompletten, linken Wochenzeitung“, so ein Werbeprospekt aus dem vergangenen Jahr. Seitenweise Vorschußlorbeeren erntete das neue Kontrastprogramm, von dem Organ des Deutschen Journalistenverbandes kokett als „eine Prise Kicker, ein Schuß taz und ein Teelöffel Pflasterstrand“ definiert. Begeistert reagierten Gewerkschaften, SPD, Grüne und Schriftsteller. Johannes Rau und Franz Steinkühler abonnierten im voraus. Doch diese beiden wie auch andere künftige LeserInnen, darunter „vor allem die sogenannten kleinen Leute“, müssen sich gedulden. Wenn überhaupt, wird die komplette, 96seitige Mischung aus Sport, Politik und Kultur für etwa zwei Mark im November erscheinen. Marktpotentiale Hoffnungsträger der Initiatoren war eine Marktanalyse des Osnabrücker Soziologen Dieter Otten. Er hatte im Auftrag der SPD, die damit liebäugelte, ihre Wahlkampf–Zeitung am Sonntag (ZaS) bundesweit zu etablieren, auch BamS–LeserInnen befragt. Ergebnis: Jeder Vierte oder 300.000 Menschen im Ruhrgebiet studieren die BamS nach eigenen Angaben nur mit Widerwillen. Ob man darauf bauen kann, steht dahin. Statistiker haben nachgewiesen, daß bei Medienkonsumenten eine beträchtliche Lücke zwischen Selbstdarstellung und tatsächlichem Kauf– und Leseverhalten klafft. Gegen eine Überschätzung der möglichen BamS–Dissidenten hält RR–Planer Bernd Siepmann (31) die zweite Zielgruppe des Blattes: „1,2 Millionen Leser der Samstagsausgaben der WAZ– Gruppe sind potentielle Käufer einer Sonntagszeitung.“ Mangels Alternative zu Springer verzichten viele Interessenten auf die sonntägliche Frühstückslektüre. Diese Gruppe der „Nichtkäufer“ sei laut Otten–Studie „im Ruhrgebiet deutlich größer als die Gruppe der BamS–Käufer“. Daher zieht die Marktanalyse das Fazit, innerhalb eines Jahres könne die RR eine verkaufte Auflage von bis zu 70.000 Exemplaren erreichen. Bei 25.000 Stück rechnet man mit schwarzen Zahlen. Um mehr als das Zehnfache darüber liegt die prognostizierte Auflagenobergrenze. 300.000 Menschen könnten einmal die RR erwerben, „die zukünftige Konkurrenzlosigkeit der RevierRundschau in ihrer Profilierung vorausgesetzt“. Verschwommenes Profil Abgesehen vom Sportteil gestaltet sich dieses Profil eher nebulös: Durch „Akzeptanz der vorhandenen Informations– und Unterhaltungsbedürfnisse der Menschen und ihrer Lesegewohnheiten“ will die RR der „Nischenexistenz alternativer Zeitungen“ entgehen. Wie könnte das funktionieren, wenn die politische Berichterstattung „als wichtigster inhaltlicher Block im tagesaktuellen Teil vor allem unterdrückte Nachrichten und Hintergrundinformationen“ bieten soll? Eine Konkretion dieses Werbetextes aus dem Jahre 1986 blieb aus. Manchen Kennern roch das Konzept unangenehm oder illusionär nach „Gegenöffentlichkeit“, andere bezweifelten den „linken Anspruch“ der RR–Macher. Er werde sich in Berichten über die Nöte des Schalker Linksaußen realisieren, höhnte das Alternativblatt Neue Essener Presse im Frühjahr. Sehr schroff urteilt Werner Schmitz, Reporter des Revier–Magazins Marabo, im Gespräch mit der taz: „Der Bild und WAZ gleichzeitig Konkurrenz zu machen, ist abenteuerlich und überheblich. Die RR will so sein wie die WAZ, nur etwas mehr links und ohne, daß die Leser dies merken“. Als „tolles Lob“ begreift RR– Aktivist Rainer Brahm (33) den Kollegen–Spott. Weder er noch seine Mitstreiter können derzeit präzisieren, was frau zu erwarten hat hinter dem neuesten Etikett „engagiert–liberale Massenzeitung“. Brahm: „Wir lassen uns nicht nageln. Bis das Produkt auf dem Tisch liegt, bleiben programmatische Äußerungen bloße Phrase.“ Immerhin wirbt die RR schon jetzt für eine konkrete „Besonderheit“ des künftigen „bürgernahen Blattes“ - Parteinahme für Hattingens Stahlwerker. Nun wagt selbst die konservative Rheinische Post nicht, gegen den Widerstand einer Region zu hetzen. Doch es sollte nicht verschwiegen werden, daß sich zwei RR–Mitarbeiter kostenlos bei der Zeitung des Hattinger Bürgerkomitees engagieren. Das ist in der Tat ein markanter „Unterschied zum WAZ–Engagement für Hattingen“, wie Wolfgang Schröder (60) erklärt, und nicht selbstverständlich für ein Projekt, dessen Mitarbeiter gegenwärtig vollauf damit beschäftigt sind, vor Fußballstadien Werbematerial zu verteilen, Kioskbesitzer abzuklappern und über Staatsknete zu verhandeln. Wer stopft Finanzlöcher? Um die noch fehlenden 700.000 DM wird seit Monaten gepokert, nachdem Wirtschaftlichkeitsgut achten von Unternehmensberatern das erforderliche Startkapital entgegen der ersten Ausgangsdaten auf 1,3 Millionen verdoppelten. Diese Summe konnten Kommanditisten und Gesellschafter der „GmbH und Co KG i.G.“ unmöglich aufbringen, auch wenn viele Gruppen und Einzelpersonen aus rot–grünen Kreisen einsprangen. Spendierfreudig übernehmen die NRW–Grünen eine Bürgschaft über 100.000 DM für das „politisch wichtige Projekt“. Das größte Loch in der Finanzierungslücke sollen jedoch Kommunen und das Land NRW stopfen. Nach zähen und erfolglosen Verhandlungen mit interessierten Städten hat nun Duisburg Räumlichkeiten und einen günstigen Kredit in Höhe von 350.000 DM angeboten. Von der Ansiedlung des Unternehmens mit 35 Arbeits plätzen verspricht sich Oberstadtdirektor Dr. Richard Klein einen „Beitrag zur Wirtschaftsförderung und Bereicherung der Medienlandschaft“. Zwar mag der Verwaltungschef der angehenden Pott–Medienmetropole gegenüber der taz die ohnehin bekannten Zahlen nicht vor einer Pressekonferenz am 8. September bestätigen, doch berichtet Dr. Klein, er habe am letzten Freitag „in dieser Angelegenheit beim Minister vorgesprochen“. Wirtschaftsminister Reimut Jochimsen (SPD) zögert nämlich, der RR den beantragten Zuschuß in Höhe von 350.000 DM aus dem Landestopf für Alternativprojekte zu gewähren. „Wir prüfen sehr sorgfältig den alternativen Charakter“, so ein Sprecher der Behörde, „die eingereichten Unterlagen sind für eine abschließende Bewertung nicht aufschlußreich genug.“ Formal ähnlich distanziert sich das Ministerium gemeinhin von unerwünschten Projekten, man denke nur an das Lavieren „nach Recht und Gesetz“ in der Frage des Schnellen Brüters. Wenn Jochimsen möglicherweise nur eine geringe, stinknormale Investitionszulage genehmigt, dann nicht weil der Minister eine neue Leidenschaft für „echte“ Alternativprojekte entwickelt hätte. Hinter den Kulissen fürchtet man, Präzedenzfälle für Forderungen der privaten Sender zu schaffen, Kritik an Steuergeldern für eine möglicherweise stark an der SPD oder gar an der DKP orientierte Zeitung oder aber Kritik an einer möglichen Finanzspritze für ein Kaufobjekt der WAZ. Chance als Sportzeitung? Solche Spekulationen kursieren nicht allein in Düsseldorf. Kenner der NRW–Print–Medienszene vermuten seit Jahren eine nicht beweisbare Absprache zwischen Springer und WAZ–Gruppe. Danach soll die WAZ angeblich auf das Sonntagsgeschäft verzichten, weil und sofern Springer die zwei Ausgaben der Bild für das Ruhrgebiet nicht weiter regionalisiert. Daß die größte Regionalzeitung der Bundesrepublik den Scheinfrieden mit Springer aufkündigen könnte, ist so unwahrscheinlich nicht. Warum sollte der WAZ– Konzern, der in den letzten Jahren fast alle selbständigen Ruhrgebietszeitungen eingesackt hat, nicht auch eine am Markt erprobte und etablierte RevierRundschau aufkaufen? Dieser Gefahr, so meinen wohlgesonnene Beobachter, könnte die RR entgehen, wenn sie bei dem eher aus Finanznot geborenen Konzept einer Sportzeitung bliebe. Allerdings hat die Reviersportschau, exzellente Berichterstattung für Sportfans vorausgesetzt, schlechte Karten gegen Bild. Die ist nämlich schon Samstag abend zu haben, die RR erst am Sonntag und für Abonnenten zunächst am Montag. Deshalb dämpft Geschäftsführer Ulli Homann den Optimismus: „Auch ohne das Düsseldorfer Geld können wir starten. Aber wir sind vorsichtiger geworden und machen erst den Probelauf mit dem Sport.“ Sollte das ein Flop werden und auch der Kulturteil, ob als Heft oder Beilage, nicht einschlagen „ja dann haben wir uns wirklich getäuscht, dann ist kein Bedarf da“. Den werden die des „Uni– und Szenemilieus überdrüssigen“ Jungunternehmer vor ihrem Umzug nach Duisburg im alten Domizil testen. „Wenn die Polizisten unter uns das Blatt lesen“, so schätzt Bernd Siepmann, „dann haben wir gewonnen.“ Foto: Paul Langrock/Zenit