Schlecht und sympathisch

■ Wovon unser Pflicht–Cineman heute nicht (aber morgen) sprechen wird / Über einen (beinahe) großartigen Film

Aus Venedig Arno Widmann

Drei oder vier Filme am Tag. Da bliebe viel zu erzählen. Über Rohmers „Der Freund meiner Freundin“, Tanners „Das Phantomtal“, Ivorys „Maurice“ und Gorettas „Wenn die Sonne nicht wiederkäme“, habe ich noch kein Wort verloren. Erst werde ich von Edouard Niermans Film „Engelsstaub“ sprechen, einem Genrefilm. Eine französische Flicstory, wie sie zu Tausenden produziert wurden und werden. Ein Polizist kommt dahinter, daß sein Vorgesetzter vor 20 Jahren um seiner Reputation willen - er war verheiratet und hatte eine schöne Karriere vor sich - eine mit ihm befreundete Prostituierte hatte töten lassen. Deren und seine Tochter bringt nach und nach alle um, die an der Ermordung der Mutter beteiligt waren. Unser Held schützt das Mädchen. Eine Standardstory aus der französischen Traumfabrik. Dazu die nächtlichen Autofahrten, der Regen und die Liebe. Natürlich ist der Held unrasiert und säuft, seine Frau eine Bourgeoise und tres chic. Ebenso natürlich - ist man versucht zu sagen - hat der Held am Ende - mit dem fängt der Film an - seinen Whiskey–Geruch ab– und italienische Schuhe, Hemd und Brille aus Amerika angelegt. An seiner Seite die ihn liebende Ehefrau und das entzückende Kind. Soweit so konventionell. Aber Niermans hat seinen Film mit Einfällen gespickt, mit witzigen Wendungen und plötzlichen Schwenks, die immer wieder die teigige Stimmung aufbrechen und Esprit ins Einerlei des Genres bringen. Ein sehr schöner Anfang: Der Held steht am Bahnhof und beschreibt seine gepflegte Aufmachung: seine Schuhe, seine Brille, die Krawatte. Dann ein Blick auf die Tochter und ein Kuß für seine Frau. Daß er Polizist ist, erfahren wir, als er in der Ausnüchterungszelle des Polizeireviers aufwacht: er kramt seinen Schlüssel hervor, schließt auf und tritt draußen seinen Dienst an. Ein absolut sicherer Lacher. Der Film steckt voller Einfälle dieser Art. Aber vergebens. Das Genre zieht Edouard Niermans immer wieder in die es auszeichnende Trübtassigkeit zurück. Aber natürlich ist das - wenn auch scheiternde - Anrennen gegen die Klischees der Flicgeschichte interessanter anzusehen als all die angestrengten Versuche, einem Genre gerecht zu werden, es zu bedienen. Man merkt Niermans Film an, daß sein Autor zwar die Idee, aber nicht den Mut zum Absprung hatte. Das macht ihn schlecht und sympathisch.