Kritik an Strafrechtsverschärfung

■ Koordinierungsausschuß der Friedensbewegung geißelt geplante Gesetzesinitiative der Bundesregierung zu Sitzblockaden / Innenministerium will Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr / FDP zeigt sich gespalten

Aus Bonn Oliver Tolmein

Der Koordinierungsausschuß der Friedensbewegung kritisierte gestern in Bonn die Pläne der Koalitionsparteien, neue strafrechtliche Bestimmungen gegen Sitzblockaden durchzusetzen. Außerdem attackierte er die Bonner Staatsanwaltschaft. Die ermittelt seit knapp einem Monat gegen die Unterzeichner eines Blockade– Aufrufs vom Mai dieses Jahres wegen „öffentlicher Aufforderung zu Straftaten“, genauer: zu Nötigung nach §240 StGB eingeleitet hat. Alfred Mechtersheimer, Unterzeichner und grüner Abgeordneter, bezeichnete es als einen Skandal, daß diejenigen, die einen „wesentlichen Beitrag zur Abrüstung“, wie sie jetzt in Genf beschlossen werde, geleistet hätten, in einem sozialdemokratisch regierten Bundesland strafrechtlich verfolgt würden. Es seien bayerische Verhältnisse, wenn gegen Leute ermittelt werde, nur weil sie sich mit einer symbolischen und strikt gewaltfreien Aktion solidarisiert haben. Er forderte den nordrhein–westfälischen Justizminister auf, von seinem Weisungsrecht gegenüber der Bonner Staatsanwatschaft Gebrauch zu machen. Das Bundesinnenministerium plant, wie mittlerweile bekanntgeworden ist, die Aufnahme eines gegen Sitzblockaden gerichteten Paragraphen 315e zur „gezielte Behinderung im Straßenverkehr“ ins Strafgesetzbuch: „Wer unbe fugt andere gezielt in ihrer Teilnahme oder in ihrer Bewegungsfreiheit im Straßenverkehr behindert, wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft.“ Der FDP–Innenpolitiker Hirsch bezeichnete diesen Vorschlag als „grotesk“. Dem FDP–Bundesparteitag liegen aber ebenfalls Vorschläge zur Ergänzung des Paragraphen 240 vor. Während der Bundesfachausschuß Innen und Recht meint, daß eine „Überprüfung“ des Paragraphen 240 notwendig sei, schlägt der Bezirksverband Oberbayern die Einführung eines Paragraphen 315e vor, der allerdings moderater und auslegungsfähiger ist als die CDU/CSU–Version: „Wer ... vorsätzlich den Straßenverkehr behindert, (wird) mit Geldstrafen bis zu 150 Tagessätzen bestraft. Die Strafe kann ermäßigt oder erlassen werden, wenn die Handlung begangen wurde, um für ein allgemein–politisches Ziel zu demonstrieren, und die Behinderung nicht erheblich war.“ In Gang gekommen ist die Diskussion um den Nötigungsparagraphen 240, nachdem mehrere Gerichte den gleichen Tatbestand unterschiedlich bewertet hatten und im November letzten Jahres die Friedensbewegung mit einer Beschwerde beim Bundesverfassungsgericht erfolglos geblieben war. Sie hatte versucht, die Heranziehung des auf nationalsozialistischem Recht basierenden §240 zur Verurteilung von BlockiererInnen als unzulässig qualifizieren zu lassen.