Anonymer Alltag in Stammheim

■ Im Verfahren gegen Eva–Sybille Hauk–Frimpong, Christian Kluth und Luitgard Hornstein gab es die ersten Befangenheitsanträge / Publikumsinteresse verschwindend gering

Aus Stammheim Dietrich Willier

„Wahrscheinlich hat jemand im Cafe einen Fetzen von der Diskussion aufgeschnappt, jedenfalls kamen um ca. 17.00 Uhr zwei Typen in Jeans und T–Shirts rein. Ich seh sie, denk „Scheiße“, aber da stehen sie schon am Tisch und halten uns die Pistolen vor den Kopf.“ So Eva–Sybille Haule–Frimpong aus der Justizvollzugsanstalt Köln– Ossendorf in einem Brief vom 9. August vergangenen Jahres, eine Wochen nach ihrer Verhaftung. Eva Haule war zusammen mit dem Studenten Christian Kluth und Luitgard Hornstein festgenommen worden. Schon wenig später gibt das BKA in einer Pressemitteilung die Festnahme bekannt. Eva Haule, so das Amt, werde nicht nur die Mitgliedschaft in der RAF, sondern auch die Beteiligung an der Ermordung des Siemens–Managers Beckurts und dem Sprengstoffanschlag auf das US–Ausbildungszentrum in Oberammergau vorgeworfen. Kurt Rebmann, Generalbundesanwalt in Karlsruhe, sonst nicht gerade zurückhaltend mit Tatvorwürfen, will in seiner Pressemitteilung von einer konkreten Tatbeteiligung nichts mehr wissen - übrig bleibt bei ihm nur die Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung. Ganz offensichtlich sahen ein Bundesrichter und Vertreter der Bundesanwaltschaft eine potentielle Chance, doch noch Kronzeugen zu gewinnen. Eva Haule war angedeutet worden, daß, mache sie Aussagen, ihr ein Gefängnisaufenthalt erspart bleiben könne. Vergeblich, Aussagen gab es keine. Doch auch jetzt, am zweiten Verhandlungstag gegen Eva Haule, Christian Kluth und Luitgard Hornstein vor dem Fünftem Strafsenat am Oberlandesgericht in Stuttgart–Stammheim, ist in der Anklage von einer konkreten Beteiligung an einem der Anschläge des vergangenen Jahres keine Rede. Bleibt der § 129a, und das genügt. Mitglieder der RAF, so die Interpretation der Bundesanwälte in ihrer Anklageschrift, sind immer auch Täter: „Jedem Mitglied sind die Ziele und Mittel der RAF bekannt, sie werden von ihm gebilligt, Straftaten werden gemeinsam besprochen, geplant, vorbereitet und arbeitsteilig ausgeführt.“ Ein Nachweis, wer wie beteiligt war, erübrigt sich. Jetzt, schon am zweiten Prozeßtag in Stammheim, ist es leer geworden. Von den 250 Besuchern des ersten Tages sind noch ganze zehn übriggeblieben. Kein kollektives Hüsteln mehr, wenn einer der Bundesanwälte die Stimme erhebt, keine freudige Begrüßung, der anonyme Stammheimer Alltag hat schon begonnen. Anträge der Verteidiger, den Prozeß auszusetzen oder in einen anderen Verhandlungssaal zu verlegen, sind mittlerweile abgelehnt. Scheinanträge, Polemik und pseudopolitische Beiträge nannte die Bundesanwaltschaft die Ausführung der Verteidiger zu den Haftbedingungen und Verteidigerbehinderungen. Für eine Verhandlungsunfähigkeit der Angeklagten sah das Gericht keine Anhaltspunkte. Im übrigen, so Vorsitzender Herbert Schmidt, habe man weder auf die Wahl des Verhandlungsortes Stammheim Einfluß noch stünden Kontrolleinrichtungen oder Trennscheibe zur Disposition des Senats. In weiteren Anträgen lehnte daraufhin die Verteidigung, Rechtsanwalt Viergutz Rechtsanwalt Felkel und Rechtsanwalt Diesing den gesamten Senat aus Besorgnis der Befangenheit ab. Der Senat, vor allem dessen Schriftführer Kappet, hätte sich lange vor der Hauptverhandlung seine Meinung über die Angeklagten gebildet. Alles das, was aus der Post der Beschuldigten beschlagnahmt, zensiert, inkriminiert und als Beweismaterial für die Hauptverhandlung aussortiert worden sei, beweise hinlänglich die Voreingenommenheit der Richter. Der Senat, so meinen die Verteidiger, sei offenbar nicht Willens, wie strafprozessual vorgeschrieben seine Eindrücke und Erkenntnisse ausschließlich aus der Hauptverhandlung zu beziehen. Die Richter kündigten bisweilen eine dienstliche Erklärung an. Die ersten Zeugen, die Eltern von Luitgard Hornstein, lehnten gestern nachmittag die Aussage ab.