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Konterbande New Wave in der UdSSR

■ Ein anderer Film aus der Sowjetunion / Über den dialektischen Zusammenhang zwischen heutiger Beatmusik und gestriger Geschlechtlichkeit

Aus Venedig Arno Widmann

Ein Film aus der Sowjetunion: „Der Einbrecher“; Regie: Valerij Ogorodnikov. Keine Umweltmystik a la Klimov, auch nicht die seit 200 Jahren diskutierende russische Intelligentsia wie bei Panfilow, sondern die Leningrader Rockszene. Auftritt nach Auftritt. Gruppe für Gruppe. Die glattrasierten jungen Männer in Uniform, die wie kennen, tauchen nur am Rande auf. Die Szene beherrschen die steilen Frisuren der Punks, Lederjacken und Ketten. Es gibt „geile Tiere“ unter ihnen und „Lords“, junge Schmalzer und jede Menge Hardrocker. Ein öffentlicher Wettbewerb wird vorbereitet. Beim Vorsingen darf jeder mal ran. Die vollentwickelte Band und der Freddy mit der Gitarre. Frauen spielen keine Rolle. Alles wie bei uns. Aber ganz anders als bei uns die merkwürdige Story. Um seinem Bruder - einem der jungen Rockstars - zu helfen, stiehlt ein zehn bis zwölfjähriger Junge ein Instrument aus dem staatlichen Kulturhaus. Das ermöglicht dem Regisseur, vom Verfall der Werte, von der Bedeutung der Familie und der richtigen Erziehung reden zu lassen, ein tüchtige Dosis Moralin über den rebellischen Sound zu schütten. Der Film wirkt dadurch wie jene Welle von Filmen der sechziger Jahre bei uns, in denen bisher versteckte Körperteile aufs Zelluloid kamen, in denen adrette Paare etwas angestrengt, aber sichtlich sachverständig kopulierten. Ein Schock, der dem Publikum nur dadurch zugemutet werden konnte, mindestens das nackte Treiben alle zehn Minuten von einem Herrn unterbrochen wurde, der freundlich lächelnd das immerhin leicht erregte Publikum wieder auf den Boden der kinematographischen Tatsachen zurückführte. Ähnlich hier. Pur darf die Lust der geilen Tiere nicht serviert werden, da muß ein Beruhigungsmittel dazu gegeben werden, eine erbauliche Story. Auch das also so neu nicht und schon gar nicht eine russische Besonderheit oder typisch für ihre Moral im Gegensatz zur unsern.

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