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Die Meldebehörde zählt doch mit

■ In Baden–Württemberg wurde der verbotene Melderegister–Abgleich nachgewiesen/ Die Erhebungsstelle der Volkszählung meldete Auskunftspflichtigen beim Einwohnermeldeamt ab / Abgleich brachte Volkszählung 83 zum Scheitern

Von Vera Gaserow

Berlin (taz) - Was bisher in einigen Städten als Verdacht im Raum schwebte, läßt sich jetzt in Baden– Württemberg anhand eines Falles nachweisen: Erkenntnisse aus der Volkszählung werden in einzelnen Fällen zur Korrektur der Melderegister benutzt, obwohl das verboten ist. Diesen sogenannte Melderegister–Abgleich hatte jedoch das Bundesverfassungsgericht 1983 für verfassungswidrig erklärt. Er war der gewichtigste Einwand, mit dem die Bundesverfassungsrichter die Volkszählung 1983 zum Platzen gebracht hatten. Für die Volkszählung 87 wurde deshalb ausdrücklich untersagt, daß die durch die Volkszählung gewonnenen Erkenntnisse über den tatsächlichen Wohnort von Auskunftspflichtigen an die Meldebehörden weitergeben. Der illegale Melderegister–Abgleich kam jetzt an den Tag, als sich der in Stuttgart wohnhafte Herr B. darüber wunderte, daß er zwei Volkszählungsbögen bekam - einen Bogen für seine Stuttgarter Wohnanschrift und einen aus seiner ehemaligen Heimatgemeinde auf der Schwäbischen Alb. Dort wohnte er seit zwei Jahren zwar nicht mehr, aber seine Mutter hatte versäumt, ihn abzumelden. Herr B. sah keine Veranlassung, einen Volkszählungsbogen für seine alte Adresse auszufüllen, doch eines Tages bekam er von der Erhebungsstelle seines Heimatortes einens Heranziehungsbescheid mit Zwangsgeldandrohung wegen versäumter Auskunftspflicht. Ein Anruf bei der Erhebungsstelle sollte dieses Mißverständnis klären, doch für Herrn B. vergrößerte sich die Verwirrung nur noch, als der Zählstellenleiter ihm zu einer falschen Auskunft riet: Herr B. solle doch einfach noch so tun, als ob er in seiner alten Wohnung noch lebe und „Untermieter“ in die entsprechende Rubrik eintragen. Statt diesem, nicht gerade gesetzestreuen Rat zu folgen, legte Herr B. Widerspruch gegen den Heranziehungsbescheid bei der Erhebungsstelle ein. Datum: 20.8.87, durch einen Einschreibzettel belegt. Nur fünf Tage später erhielt der überraschte Herr B. eine Abmeldebestätigung von seiner Heimatgemeinde. Nur: abgemeldet hatte sich Herr B. dort nie, und so trägt auch das Abmeldeformular in der Rubrik „Unterschrift des Abmeldenden“ nicht seine Unterschrift, sondern die schlichte Bemerkung „Schreiben vom 20.8.87“. Genau das ist jedoch das Datum des Einschreibens an die Erhebungsstelle. Als Auszugstermin hatte die Meldestelle das fiktive Datum 1.5.87 eingesetzt und in der Rubrik „Familienname“ steht mit einem Ausrufezeichen versehen deutlich lesbar: „Wurde in X nicht zur Wohnbevölkerung gezählt!“ Daß hier erstmals nachweislich Volkszählungsdaten zur Korrektur eines Melderegisters benutzt wurden, wird nun die baden–württembergische Datenschutzbeauftragte beschäftigen. Bisher gab es auch in anderen Städten einige, jedoch nicht beweisbare Anhaltspunkte dafür, daß zumindest in Einzelfällen ein solcher illegaler Melderegister–Abgleich stattgefunden hat. So wunderten sich in Freiburg und auch in anderen Städten mehrere Bewohner von Studentenheimen, die dort schon monatelang unangemeldet gewohnt hatten, daß nur wenige Tage nach dem Besuch des Volkszählers eine Aufforderung von der Meldebehörde im Briefkasten lag, sie sollten jetzt endlich ihrer Meldepflicht nachkommen.

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