Rust als Rowdy verurteilt

■ Vier Jahre Arbeitslager zu „allgemeinen Bedingungen“ / Nur Oberster Sowjet kann ihn noch begnadigen / Rust zeigte Reue: „Ich habe mich seitdem verändert“

Aus Moskau Alice Meyer

Der 19jährige Sportpilot Mathias Rust wird vier Jahre in einem sowjetischen Arbeitslager „zu allgemeinen Bedingungen“ verbringen müssen. Das Oberste Gericht der UdSSR milderte in seinem gestrigen Urteil damit das von Staatsanwalt Tirchomirnow geforderte Strafmaß von acht Jahren Arbeitslager unter „verschärften Bedingungen“ ab. Gegen das Urteil kann keine Berufung eingelegt werden. Nur der Oberste Sowjet kann noch eine Begnadigung oder Abschiebung veranlassen. Das dreiköpfige Richterkollegium erkannte den Angeklagten in allen drei Punkten für schuldig. Die Vorsätzlichkeit, die besondere Dreistigkeit der Tat und die Gefährlichkeit der Luftraumverletzung und die Landung waren - so die Urteilsbegründung - für das hohe Strafmaß ausschlaggebend. Das Flugzeug wird nicht konfisziert, sondern an den Aeroclub Hamburg zurückgegeben. „Ich war auf der Suche nach der Quelle des Friedens, und die ist hier in Moskau und nicht in Bonn“, hatte Mathias Rust am ersten Verhandlungstag über das Motiv seiner Tat gesagt. Fortsetzung auf Seite 2 In seinem Schlußwort erklärte der Angeklagte, „einen enormen Fehler“ begangen zu haben, und bat um Milde. „Zum Zeitpunkt meiner Taten war ich nicht der Mensch, der ich heute bin. Ich habe mich seitdem verändert.“ Verteidiger Jakowlew hob die „noblen Beweggründe“ und die „Naivität“ des Angeklagten hervor und kritisierte den Staatsanwalt, der die Motive des Angeklagten nicht habe zur Kenntnis nehmen wollen. „Die achtjährige Freiheitsstrafe, die die Anklage verlangt, ist maßlos.“ Er forderte eine Verurteilung nach §84 des Strafgesetzbuches der Russischen Föderation, der für die Verletzung der Internationalen Flugregeln als Mindeststrafe ein Jahr Freiheit sentzug oder eine Geldstrafe vorsieht. Eine Verurteilung nach §206 sei nicht möglich, da Rust der Vorsatz, die öffentliche Ordnung zu stören, nicht habe nachgewiesen werden können. Das Gericht folgte jedoch nur zum Teil den Ausführungen des Verteidigers und blieb weit unter dem vom Staatsanwalt geforderten Strafmaß. In der Sache aber wogen die Argumente des Staatsanwalts schwer. Das Gericht folgte im Prinzip dem Argument, daß Rust große Gefahren für den zivilen Flugverkehr - die „über 1000 kg Friedenstaube“ hätte zur Katastrophe führen können - und für die allgemeine Politik heraufbeschworen hatte. Im Vorfeld des Besuchs des Bundespräsidenten in der Sowjetunion hätte ein Abschuß schwerwiegende politische Folgen haben können, so der Ankläger in seinem Plädoyer. Deshalb sei zu fragen, warum Rust mit seiner Friedensliebe nicht in Bonn gelandet sei, um über den Krieg, den Frieden und die Pershing–Raketen zu sprechen. Im einzelnen bestraften die Richter Rust wegen Rowdytums zur Höchststrafe von vier Jahren. Damit wurde sein Überfliegen des Kremls, „Mittelpunkt der Nation und der Sowjetmacht“, geahndet. Für die Verletzung der sowjetischen Grenze setzte das Gericht die Strafe auf zwei Jahre fest, für die Verletzung der internationalen Flugbestimmungen erhielt er drei Jahre. Nach sowjetischem Strafrecht werden die Einzelstrafen nicht summiert. Es muß nur die Höchststrafe verbüßt werden.