Neue Heimat: Gnadenfrist bis Ende 1988

■ Ein Konkurs des gewerkschaftseigenen Baukonzerns ist immer noch nicht ausgeschlossen / Hans Matthöfer, Chef der Gewerkschaftsholding BGAG, bricht sein Schweigen

Aus Frankfurt Martin Kempe

Hans Matthöfer, seit Februar 1987 als Nachfolger des skandalgeschädigten Alfons Lappas an der Spitze der gewerkschaftseigenen Unternehmensholding BGAG, wollte nach monatelangem Schweigen ein öffentliches Signal setzen: „Lassen Sie es mich deutlich sagen“, kündigte er am letzten Freitag vor den versammelten Journalisten an, „es wäre ein schwerer Irrtum zu glauben, nach Ablauf des Stillhalteabkommens sei eine Zwangsverwertung bei der Neuen Heimat ausgeschlossen.“ Oder anders: Ein Konkurs der Neuen Heimat mit all den Risiken für die Sozialbindung der Neue–Heimat–Wohnungen ist nach wie vor möglich. Matthöfer: „Wenn die öffentlichen Hände und die Banken sich nicht ihrerseits zu ihrer Mitverantwortung bekennen, wird es letztlich eine sozialverträgliche Abwicklung nicht geben.“ Offensichtlich hat der neue Chef der BGAG allen Grund, in dieser Deutlichkeit auf die nach wie vor bestehenden Risiken beim gewerkschaftlichen Skandalkonzern hinzuweisen. Denn obwohl es nach dem Wirbel um den mißglückten Verkauf an den Berliner Brotfabrikanten Horst Schießer still um den nach wie vor größten europäischen Wohnungskonzern geworden ist, sind die Probleme der mit zeitweise über 17 Milliarden Schulden belasteten gemeinnützigen NH–Gruppe noch immer ungelöst. Es ist schon seit den Tagen des jetzt privatisierenden früheren NH–Chefs Diether Hoffmann un umstritten, daß es nur die Alternative zwischen Verkauf und Konkurs gibt. Angestrebt wird, die Regionalgesellschaften der NH an regionale, ebenfalls gemeinnützige Wohnungsbaugesellschaften zu verkaufen, um die Sozialbindung der Wohnungen zu retten, die meistens nicht gerade gutbetuchten NH–Mieter vor den Risiken des preistreibenden freien Wohnungsmarktes, vor den Umwandlungsstrategien der Immobilienhaie zu schützen. Dies glaubten die Neue Heimat und die BGAG ihrem gewerkschaftlichen Selbstverständnis schuldig zu sein. Aber dazu brauchen sie nach wie vor die Kooperation der Banken, die einen Teil ihrer Forderungen an die Neue Heimat abschreiben müssen, wie auch der Länder, die als Käufer beträchtliche Haushaltsmittel aufbringen müssen - nicht wegen der außergewöhnlich hohen Preisforderungen der Neuen Heimat, sondern weil sie mit den Immobilien gleichzeitig die darauf liegenden Belastungen erwerben. An den Preisen liegt es nicht. Wie schon beim Brotbäcker Schießer heißt es heute wieder: „Haste mal ne Mark?“ Am letzten Freitag, just zu der Stunde, als Matthöfer im 36. Stock des Frankfurter BfG–Hauses mit den Journalisten zusammensaß, wurde in Bremen der Verkaufsvertrag über rund 40.000 NH– Wohnungen unterzeichnet. Kaufpreis auch hier: eine Mark. Damit hat sich die Verkaufsbilanz der Neuen Heimat deutlich verbessert. Von den zuletzt noch rund 160.000 NH–Wohungen verbleiben jetzt noch rund 120.000, über die allerdings größtenteils ebenfalls verhandelt wird. Derzeit sieht die Verkaufsbilanz so aus: Die Neue Heimat Südwest (Hessen) ist verkauft. In Bremen sind die Verträge - rechtzeitig für die demnächst anstehende Landtagswahl - seit Freitag unter Dach und Fach. In Hamburg hat sich der neue sozialliberale Senat nach einigem Koalitionsgeplänkel im wesentlichen auf die Modalitäten geeinigt, die schon im Mai dieses Jahres vor der Bürgerschaftswahl vom alten SPD–Senat ausgehandelt worden waren. In Nordrhein–Westfalen gibt es schriftliche Absprachen über rund 40.000 Wohnungen, wobei allerdings etwa 5.000 Wohnungen der NH–eigenen Nordwestdeutschen Siedlungsgesellschaft sowie die unbebauten Grundstücksbestände der NH–NRW nicht mit eingeschlossen sind. In Berlin, so heißt es, seien die Verhandlungen relativ weit gediehen. Es geht nur noch um die Preise. In Bayern und Baden–Württemberg geht es jeweils um „gute“, das heißt durchaus profitable Tochtergesellschaften der Neuen Heimat. Auch hier signalisierte BGAG–Vorstandsmitglied Rolf Freyberg Optimismus, ohne jedoch Genaueres über Verhandlungsstand, Zeit– und Preisperspektiven herauszulassen. Schließlich sind da noch die 26.000 Wohnungen, die schon 1985 von der ebenfalls der BGAG gehörenden BG Immobiliengesellschaft mbH (BGI) zwecks Weiterverkauf auf dem freien Wohnungsmarkt erworben worden sind. Diese Transaktion diente seinerzeit dazu, die konkursträchtigen Löcher in der NH–Bilanz zu stopfen. Bis jetzt hat die BGI etwa 6.000 Wohnungen verkauft. 8.000 weitere sind in dem Verkaufspaket mit dem Land Bremen enthalten, weitere 6.000 im Hamburger Paket. Der Rest von etwa 6.000 Wohnungen liegt in Niedersachsen und Schleswig Holstein, beides Länder, in denen bislang keine Regionalisierungsverhandlungen zustandegekommen sind. Bis Ende 1988 reicht das Stillhalteabkommen, das die BGAG/ Neue Heimat nach dem von den Banken erzwungenen Rückkauf der Neuen Heimat von Schießer abgeschlossen haben. Das ist der Zeitpunkt, so Matthöfer, an dem das NH–Problem gelöst sein muß - wenn nicht, dann erfolgt der Konkurs. Wieviele Wohnungen letztlich in den Strudel eines Konkursverfahrens geraten würden, hängt vom Erfolg der regionalen Verkaufsverhandlungen ab. Die BGAG, so Matthöfer, habe ihren Teil der Verantwortung getragen. Sie hat durch den Verkauf eines Mehrheitsanteils der bisher gewerkschaftseigenen Bank für Gemeinwirtschaft (BfG) an die Aachen–Münchner Versicherungsgesellschaft außerordentliche Erlöse erzielt, mit deren Hilfe die Löcher aus dem NH–Debakel gestopft wurden. Laut Matthöfer muß die BGAG sich, „um dieses Opfer möglich zu machen, .... von weiteren Teilen ihres Anteilsbesitzes trennen“. Wichtigstes Faustpfand dafür ist das florierende gewerkschaftliche Versicherungsunternehmen Volksfürsorge (VoFü), für das seit längerem ein Käufer gesucht wird. Unter Zeit– und Preisdruck will man sich dabei nicht setzen lassen. „Wir denken nicht daran, zu Preisen zu verkaufen, die nicht dem tatsächlichen Wert entsprechen“, betonte Matthöfer. Dennoch scheint der Geldbedarf der BGAG so dringlich, daß man schon jetzt mit einem Teil der Volksfürsorge–Anteile an die Börse geht - bevor der zukünftige Mehrheitsgesellschafter gefunden ist. Eine Minderheitsbeteiligung von knapp mehr als einem Viertel allerdings muß die BGAG alleine deshalb behalten, weil sonst der besondere gewerkschaftliche Charakter der Volksfürsorge, der einen Großteil ihres Erfolges ausmacht, vollends dahinschwände.