„Politikverbot“ in der Türkei aufgehoben

■ Mit knapper Mehrheit entschieden sich die türkischen Wähler in einem Referendum gegen Ministerpräsident Özal und für freie politische Betätigung ehemaliger Spitzenpolitiker / Özal kündigt vorgezogene Parlamentsneuwahlen an / Wird auch Faschist Türkes politikfähig?

Von Antje Bauer

Berlin (taz) - Eine knappe Mehrheit von 50,4 Prozent der türkischen Wähler hat am Sonntag bei einem Referendum entschieden, daß die nach dem Militärputsch von 1980 mit Politikverbot belegten Spitzenpolitiker des Landes sich wieder politisch betätigen dürfen. Ministerpräsident Turgut Özal, der bis zuletzt gedroht hatte, ein Ja zur Aufhebung werde wieder zu den blutigen Auseinandersetzungen der siebziger Jahre führen, hat damit eine Schlappe erlitten. Kurz vor Schließung der Wahllokale hat Özal nun für Anfang November um ein Jahr vorgezogene Neuwahlen für das türkische Parlament angekündigt. Das Politikverbot für die Spitzenpolitiker aus der Zeit vor dem Militärputsch war in einem Übergangsartikel der 1982 verabschie deten Verfassung enthalten. Es legte für 241 ehemalige Parteiaktivisten bis 1992 fest, daß sie weder einer Partei beitreten noch sich öffentlich politisch äußern dürften. Die beiden Spitzenpolitiker der siebziger Jahre, der Sozialdemokrat Bülent Ecevit und vor allem der Konservative Süleyman Demirel, hatten jedoch in den vergangenen Monaten zunehmend öffentlich zu politischen Themen Stellung bezogen. Ecevits Frau Rahsan hatte eine eigene Partei, die DSP, gegründet, und Demirel unterstützt offen die konservative „Partei des Rechten Weges“, DYP. Die Warnung Ministerpräsident Özals vor der Aufhebung des Politikverbots war vor allem Ausdruck seiner Angst vor einer Wahlschlappe, denn der levantinische Patriarch Demirel genießt - insbesondere bei der türkischen Landbevölkerung - hohes Ansehen. Die Ausschreibung von Neuwahlen wäre vermutlich in jedem Falle erfolgt: Hätte das Ergebnis eine Beibehaltung des Politikverbots ergeben, hätte Özal mit einer satten Mehrheit für die nächste Legislaturperiode rechnen können. Jetzt hofft er, daß Demirel nicht schnell genug eine Wahlkampagne vorbereiten kann, um bereits aus diesen Wahlen als Sieger hervorzugehen. Das politische Programm der Demirel–Partei DYP unterscheidet sich nicht wesentlich von dem der Özalschen „Mutterlandspartei“ ANAP. Demirel, in dessen Amtszeit Korruption und schlechte Versorgungslage an der Tagesordnung waren, wirft nun Özal vor, die Wirtschaft des Landes ruiniert und die Arbeitslosigkeit in die Höhe getrieben zu haben. Inwieweit die Aufhebung des Politikverbots auch auf den Faschisten Alparslan Türkes und den fanatischen Religiösen Necmettin Erbakan zutrifft, ist unter türkischen Verfassungsrechtlern noch umstritten. Beide haben aufgrund ihrer Betätigung vor dem Putsch mehrjährige Haftstrafen erhalten, beider Verfahren sind jedoch noch nicht abgeschlossen. Was die Politiker linker Parteien und Gruppierungen angeht, so sind die meisten ohnehin aus der Türkei geflüchtet und ausgebürgert worden, andere sitzen nach wie vor im Knast.