I N T E R V I E W „Eine Woche Größenwahn und das richtig auskosten“

■ Mitglieder des Teams „Da müssen wir durch“ zu den Motiven ihrer Kunstaktion bei Gorleben / „Eine Begeisterung, wie es sie bei Demos schon lange nicht mehr gibt“

taz: Gab es eigentlich eine künstlerische Gesamtkonzeption eurer Aktion, oder hat sich jeder selbst verwirklicht? Gerhard Ziegler: Das Gesamtbild war ne zerstörte und verwüstete Landschaft. Da steckte die Idee von Tschernobyl drin: Gesprengte Straßen, verlassene Städte, die Erde wird abgetragen, Teile werden mit Planen abgedeckt. Daraus hat sich die Beschreibung einer unbestimmten Zone entwickelt, auch unter dem Gesichtspunkt, daß Gegenden, die unbewohnbar werden, zunehmen. Ihr habt mindestens ein Jahr lang an dieser Idee gearbeitet, alleine an diesem Abend waren für die 150 Kunstreisenden ungefähr 70 Leute im Einsatz. Lohnt sich der Aufwand überhaupt? Michael Seelig: Wenn du fragst nach „lohnen“, dann steckt das Wort „Lohn“ drin, unter diesem Aspekt lohnt es sich nicht, weil es keine kommerzielle Sache ist. Es lohnt sich aber aus anderen Beweggründen heraus, es stecken Energien für Ideen drin, die einfach erledigt werden müssen, weil sie einen schon lange verfolgen. Mich zum Beispiel beschäftigt schon zehn Jahre lang dieses Bild von dem Schiff oben auf dem Sandberg, bei Nacht im Vollmond. Es ist ein Bild für die Möglichkeit, sich aus dem Alltag zu lösen, da gehen auch die Erfahrungen von zehn Jahren Gorleben ein, zehn Jahre Hoffnung und auch immer wieder Hoffnungslosigkeit. Es war auch ein Experimentierfeld für euch? Irmhild Schwarz: Auf jeden Fall. Wir haben uns an Sachen rangetraut, die man als einzelner einfach nicht machen würde. Eine Herausforderung alleine schon von den Dimensionen her, denn die waren viel größer und üppiger als das, was man sonst auf ein Bild oder eine Zeichnung bringt. Es ist auch leichter, im Kollektiv zusammenzuarbeiten, wenn man solche vergänglichen Werke schafft. Ganz viele Leute haben bei jeder Station zusammengewirkt. Zum Beispiel wollte ich diesen Stangenwald machen, und ich habe eine Goldschmiedin, mit der ich noch nie zusammengearbeitet hatte, gefragt, ob sie eine Idee dazu hätte. Es ist dann was entstanden, was ich schon von den Materialien her nie hätte machen können. So ist das natürlich viel spannender. Michael Seelig: Eine Woche Größenwahn, und den dann wirklich auch auskotzen und auskosten. Alles, was ich bisher gemacht habe, war immer sinnvoll und nützlich unter irgendeinem Gesichtspunkt. Dieses war total unnütz, nur für mich selbst nicht. Würdet Ihr sowas nochmal machen? Nein, so nicht. Rebecca Harms: Ich auch nicht. Das eine ist, daß ich bei einem nächsten Mal doch lieber mehr Leute einbeziehen würde. Das andere ist, daß die Aktion einen noch eindeutigeren Rahmen haben müßte. Also, wenn es heißt, wir machen jetzt eine Expedition in eine Zone, würde ich noch ehrgeiziger werden, daß die Sache wirklich aus einem Guß ist. Gerhard Ziegler: Es gab in der Gruppe unterschiedliche politische Ansprüche. Eine Fraktion, die ein bißchen mehr die Unterhaltung und daß Vergnügen hereinbringen wollte, alles schön und rund, und die andere, die mehr das Düstere im Kopf hatte. Der Gorlebener Widerstand ist ja auch durch seine Phantasie berühmt geworden, wofür ihr alle mitverantwortlich seid. Man könnte böse sagen: Jetzt fällt ihnen im Widerstand nichts mehr ein, jetzt kaprizieren sie sich auf Kultur? Michael Seelig: Das ist ja Blödsinn. Der Widerstand ist durch diese Sache ja nicht gestorben. Also, das Schiff ist bei der Kunstaktion deshalb am Ende nicht abgebrannt, weil es noch gebraucht wird... Gerhard Ziegler: Außerdem, so guten Widerstand gegens Atomprogramm wie diese Pfeifen von Ingenieuren da am Endlager können wir gar nicht machen. Wir haben auch davon geträumt, 14 Meter Beton in den Schacht zu schütten oder die Gefriermaschinen kaputtzumachen. Das haben die jetzt alles selbst geschafft. Rebecca Harms: Heute nacht, als wir nach Lüchow zu den Bussen fuhren, da ist mir auch der Gedanke gekommen, daß ich schon lange nicht mehr zwischen vielen Leuten dieses kribbelige Gefühl hatte, das ich sonst von der Nacht vor der Besetzung kannte oder wenn die Transporte kamen. Alle ziehen irgendwie an einem Strang, und alle geben ihr Letztes, und keiner denkt daran, ins Bett zu gehen. Diese Begeisterung gibts auf Demos schon lange nicht mehr. Das ist schon ein Problem. Das Interview führten Gabi Haas und Ute Scheub