Ein deutsches Doppel in Bonn

■ Der Staatsgast aus der DDR wurde mit allen Schikanen empfangen / Kohl beim ersten Gespräch: Deutsche Frage nach wie vor offen / Honecker lädt von Weizsäcker ein / Grüne kommen ohne Udo zum Abendessen

Aus Bonn Charlotte Wiedemann

Der Möglichkeit einer völkerrechtlichen Anerkennung der DDR im Zusammenhang mit dem Staatsbesuch Erich Honeckers hat Bundeskanzler Helmut Kohl gestern eine deutliche Absage erteilt. Die Deutsche Frage sei nach wie vor offen, hieß es in dem Redetext des Kanzlers für das gestrige Abendessen mit dem DDR– Staatsratsvorsitzenden. Das Wiedervereinigungsgebot des Grundgesetzes stehe nicht zur Disposition. Die Bundesregierung habe keinen Zweifel, daß dies „der Sehnsucht der Menschen in Deutschland“ entspreche. Eine Überwindung der Teilung stehe allerdings „zur Zeit nicht auf der Tagesordnung der Weltgeschichte“, räumte Kohl ein. Im Ton etwas moderater hatte Bundespräsident Richard von Weizsäcker bereits am Mittag gesagt, „unterschiedliche Auffassungen über die Bedeutung der Nation“ sollten einer konkreten Zusammenarbeit nicht im Wege stehen. Honecker hat von Weizsäcker zu einem Besuch in der DDR eingeladen. Das bestätigte gestern der Sprecher des Präsidialamts, Friedbert Pflüger. Als erstes Staatsoberhaupt der DDR war Erich Honecker am Morgen in Bonn eingetroffen und wurde mit militärischen Ehren begrüßt, wozu auch das Abspielen der DDR–Hymne durch die Bundeswehr–Kapelle gehörte. Für den Besuch Honeckers gilt die höchste Sicherheitsstufe. Zu den Besonderheiten des Protokolls dieses Besuchs gehört es, daß der DDR–Außenminister Fischer im Rahmen der offiziellen Gespräche mit der innerdeutschen Ministerin Wilms verhandelt, aber am Rande Außenminister Genscher im Auswärtigen Amt trifft. Bei dem ersten Zusammentreffen beider Delegationen wurden weitgehend bekannte Positionen ausgetauscht. Honecker begrüßte den Verzicht Kohls auf die Modernisierung der Pershing 1 a, schlug die Erörterung der Atomfreiheit für ganz Mitteleuropa vor und nannte die Regelung der Elbgrenze eine der ungelösten Fragen. Heute wird Honecker zu Einzelgesprächen mit den vier Bundestagsfraktionen zusammenkommen. Die Grünen appellieren dabei an den DDR–Chef, er solle im Gegenzug zu einer völkerrechtlichen Anerkennung seitens der BRD die Berliner Mauer abreißen. Nach internem Gerangel bei den Grünen wurde darauf verzichtet, daß Waltraud Schoppe, wie ursprünglich geplant, Udo Lindenberg zum Abendessen bei Honecker mitnimmt. Die DDR– Seite war von diesem Ansinnen auch nicht angetan gewesen. Heute werden Honecker und Kohl Abkommen zum Strahlensschutz und zur Zusammenarbeit auf den Gebieten Umweltschutz sowie Wissenschaft und Technik unterzeichnen. Kommentar Seite 4 Reportage und Dokumentation Auf Seite 5