: Venedig 1987: Keine Saison für Ladies
■ Über Olmis Langeweile, den Witz der Amerikaner, die große Kulturkoalition zwischen Kapital und KPI und den Schönheitsschlaf des Berichterstatters / Der Regie–Erstling David Mamet: „House of Games“
Aus Venedig Arno Widmann
Bei der Pressekonferenz zu Alan Rudolphs „Made in Heaven“ stand eine Dame auf, ließ sich das Mikro geben und erklärte: „Ich bin Venezianerin und sehe aus beruflichen Gründen seit Jahren Filmfestivals überall auf der Welt. Ich mag nicht, wie hier diskutiert wird. Ich freue mich über die amerikanischen Filme, über ihren Witz, ihre Originalität, ihre Schauspieler und Regisseure. Ich bin entsetzt von Olmi und der Langweiligkeit seines und ähnlicher Filme.“ Sprachs und setzte sich wieder. „Wo bleibt die Frage?“ meinte der Leiter der Pressekonferenz. Alan Rudolph nahm das Mikro: „Es gibt vielleicht keine Frage. Aber ich möchte antworten. Filmfestivals sind die einzige Gelegenheit, bei der man sich noch über Filme aufregt. Das macht ihren Reiz aus. Sonst interessiert sich doch niemand mehr fürs Kino. Ich freue mich, daß diese Dame sich aufgeregt hat, das ist großartig. Es zeigt, daß wir nicht ganz so tot sind, wie man manchmal annehmen könnte. Die Dame hat völlig recht: es gibt schreckliche und es gibt großartige Filme. Ich habe leider nicht verstanden, welche Filme sie meinte. Aber ich bin ganz ihrer Meinung.“ Der Corriere della sera und die Unita sind sich einig: der Goldene Löwe gehört Ermanno Olmi und seinem Film: „Lang lebe die gnädige Frau“. Ich möchte dazu heute nichts sagen. Schließt sich die Jury der großen Koalition von Kapital und KPI an, so werde ich noch Gelegenheit dazu haben, wenn nicht, erspare ich den Lese rinnen und Lesern lieber eine Reihe bösartiger Bemerkungen. Wer hier als Tageszeitungsjournalist arbeitet, kann mit drei Vorstellungen am Tag jeden Wettbewerbsfilm sehen. Aber er muß um 8 Uhr 30 im Kino sitzen und verläßt die letzte Vorstellung kurz vor Mitternacht. Das frühe Aufstehen fällt bei den herrlichen Sommernächten - am Sonntag war Vollmond - schwer. Zwei Filme sind mir dadurch entgangen: „Hip, Hip, Hurra“ des Schweden Kjell Grede und Comencinis „Ein Junge aus Kalabrien“. Den Schweden habe ich verschlafen, Comencini mir geschenkt. Ich konnte ihn mir nach den Fotos zu genau vorstellen. Auch Peter del Montes „Julia und Julia“ ist mir entgangen. Für ihn kam ich zu spät in Venedig an. Entgangen ist mir freilich auch viel von dem, was ich gesehen habe. Bei 30 Grad im Schatten bietet das Kino zwar angenehme Kühlung, aber nur die ersten zehn Minuten. Dann hat die Kritikermenge den Saal aufgeheizt und eine Mischung von Stall und Mutterleib erzeugt, die jedes Schlafmittel an Wirkung übertrifft. Hinzu kommt, daß Kulturfilme, und solche werden einem auf Festivals in erster Linie geboten, alle Ehre darein setzen, möglichst wenig positiv zu sein. Damit das auch der Dümmste merkt, spielen sie sich vorwiegend im Dunkeln ab. Claude Goretta hat das in seiner Ramuz–Verfilmung „Wenn die Sonne nicht wiederkäme“ - Schauplatz: ein einsames Dorf in den Alpen im Jahre 1938 - am extremsten vorgeführt. Während der 120 Minuten des Films läßt die Sonne sich gerade am Schluß ein wenig sehen - „Ich will ein Zei chen der Hoffnung setzen“, meint der Regisseur. Dafür aber leuchtet in den Rückblenden das Grün der Auen wie von glücklichen Kühen. Wer bei so etwas nicht einschläft, der sollte seinen Psychoanalytiker wechseln. Mehrere Filme dieser Art an einem Tag und man findet nachts nicht ins Bett, verschläft den Film am nächsten Morgen und es bedarf eines krankhaft verhärteten Pflichtgefühls, um den Körperhythmus dem Zeitplan der Festivalleitung anzupassen. Die Infamie liegt freilich darin, daß ja dieselbe Festivalleitung auch die Filme ausgesucht hat. Die verhält sich wie ein Folterer, der einen mit Schlafmitteln vollpumpt und gleichzeitig alle fünfzehn Minuten aufweckt. Ganz so schrecklich war Venedig nun doch nicht. Da waren Brian de Palmas „Untouchables“, Louis Malles „Au revoir les enfants“, David Mamets „House of Games“, James Ivorys „Maurice“ und noch eine Reihe anderer sehenswerter Filme. Ivorys „Maurice“ ist eine homosexuelle Liebesgeschichte mit happy end, nach einem Roman von E.M. Forster. Wie immer bei dem so eminent britisch wirkenden Amerikaner alles nur vom besten: die Villa, der Park, die Gardinen und die Schauspieler. Zu edel, um nicht Kunstgewerbe zu sein. Aber einige Liebesszenen sind geglückt. Zärtlicher als alles, was ich bisher zwischen Männern sah. David Mamets Regie–Erstling „House of Games“ ist eine wunderschön verspielte, vertrackte Geschichte. Mit einer entsetzlich einfältigen Moral und einem fast alles zerstörenden Schluß. Eine bestsellernde Psychoanalytikerin will Trickdieben bei der Arbeit zusehen. Die Profis im Umgang mit Verstellung und Projektion reizen sie. Sie spielt wirklich mit bei Betrug und Mord. Denkt sie. In Wahrheit aber wird ihr etwas vorgespielt, spielen die Trickser nur mit ihr. Das wird alles von Mamet, einem der besten Drehbuchschreiber, virtuos inszeniert. Dann aber wirds peinlich. Die Frau kommt hinter den Betrug, fühlt sich erniedrigt, dreht durch, erschießt den Obergauner und fängt an zu stehlen. Wir wußten es ja schon immer: die einzig Verrückten sind die Psychoanalytiker und daß Frauen keinen Spaß verstehen, weiß man an jedem Stammtisch. Dieser Schluß ist doppelt schade, war doch Mamets Film der einzige dieses Wettbewerbs, der einer erwachsenen Frau eine Hauptrolle zugestand.
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