I N T E R V I E W Bergbau und Atomkraft können so nicht weitergefahren werden

■ Reinhard Schultz, Geschäftsführer des Planungsbüros „DPU“ in Essen, zur Situation des Kohlebergbaus / Schultz ist zugleich Vorstandsmitglied im SPD–Bezirk „Westliches Westfalen“

Vor einigen Monaten hat die „Deutsche Projekt Union“ (DPU) mit einem Gutachten über die öffentlichen Kosten der Kohlevorrangpolitik für Schlagzeilen gesorgt. Die Gutachter kommen zu dem Schluß, daß die bisherige Kohlepolitik den „notwendigen Strukturwandel der Reviere nachhaltig gehemmt hat“ und die für den Umbau der Kohlereviere erforderlichen Ressourcen „unrentabel an den Bergbau gebunden werden“. Dem Projektleiter Reinhard Schultz, ehemals stellvertretender Bundesvorsitzender der Jusos, war daraufhin vom Pressesprecher der IGBE und SPD–MdB Horst Niggemeier, die „Meuchelei des Prinzips der Kohlevorrangpolitik“ vorgeworfen worden. Der SPD–Landesdienst bezeichnete die Studie schnell als „in der Sache wertlos, aber politisch gefährlich“. Für den westfälischen Bezirksvorsitzenden Hermann Heinemann, zugleich Arbeitsminister in Düsseldorf, handelt es sich um „wirre Vorstellungen“, was sein Vorstandsgenosse Schultz in Seiner Eigenschaft als Gutachter für einen Privatmann abgeliefert hatte. taz: Herr Schultz, die IGBE fordert zusätzliche Subventionen für den milliardenverschlingenden deutschen Bergbau. Soll man den Bergbau retten und geht das mit dem IGBE–Überbrückungskonzept? Reinhard Schultz: Langfristig sollte man den deutschen Steinkohlebergbau auf dem derzeit hohen Förderniveau nicht weiterfahren, weil die gesamtwirtschaftlichen Kosten dafür auf Dauer nicht aufbringbar sind. In den nächsten 15–20 Jahren muß die Förderung von derzeit etwa 75–80 auf etwa 40 Millionen Jahrestonnen reduziert werden. Das IGBE– Konzept schätzt die Lage ja sehr realistisch ein. Erstmals wird beschrieben, daß die Steinkohle im Strommarkt von der Kernenergie und im Wärmemarkt vom Gas verdrängt wird. Diese bedrohliche Schere, diese riesige Überkapazität auf dem Energiemarkt ist von der IGBE aber mit herbeidemonstriert worden. Die Gewerkschaft trägt dafür eine entscheidende Mitverantwortung. Die IGBE war der fast „militanteste“ Vorreiter für den Ausbau der Kern energie - gegen die eigenen Interessen, wie sich heute zeigt. Die IGBE will die Kernenergie ab 1995 nicht aus Begeisterung wieder wachsen lassen, sondern, so heißt es jetzt, weil man den revierfernen CDU–Ländern etwas bieten müsse. Es ist doch außerordentlich kurzsichtig, davon auszugehen, daß der Kernenergieanteil Mitte der neunziger Jahre wieder wächst. Wer wirklich, auch aus kohlepolitischen Gründen, den Abbau der Kernenergie will, der muß sich mit an die Spitze derjenigen setzen, die gegen Kernenergie sind und die für einen anderen Konsens kämpfen. Der Bergbau braucht jetzt pro Jahr mindestens 10 Milliarden Mark direkte Subventionen. Das Geld wird die IGBE nicht bekommen, wenn sie ihrer Argumentation folgt. Es würde ausreichen, wenn die IGBE den gegenwärtigen Realitäten Rechnung trüge. Da sind Kompromisse mit den CDU–Ländern unumgänglich. Man darf aber den „Pakt mit dem Teufel“ nicht zum Zukunftsprogramm erheben und das ist das Problem bei dem IGBE–Übergangskonzept. Die große industriepolitische Chance liegt doch im Bereich der regenerativen Energien. Ein alter Industriepionier wie Bölkow sagt heute schon, daß etwa ab 2010 der größte Teil des Energiebedarfs durch regenerative Energiequellen sicherzustellen wäre. Diese Perspektive muß man mit ganzer Kraft aufgreifen. Wo bleiben da die Bergleute? Zunächst muß man sicherstellen, daß bei den erforderlichen Anpassungen niemand arbeitslos wird, sondern hier müssen - wie bisher - Sozialpläne den Abbau abfedern. Mittelfristig müssen Ersatzarbeitsplätze in neuen Industrien geschaffen werden. Pro Arbeitsplatz fließen in diesem Jahr in den Bergbau etwa 63.000 DM Subventionen. Da könnte man doch jedem Bergmann 60 000 DM geben und ihn ein Jahr ausspannen lassen? Das ist natürlich nicht machbar. Aber solche Zahlen sind zweifelsohne erhellend. Es ist richtig, daß man, würde man die gesamten Subventionen in Ge haltsleistungen der Bergleute ummünzen, sämtliche Bergleute - mit einem wesentlich höheren Gehalt, als sie es heute beziehen - bis an ihr Lebensende nach Mallorca schicken könnte. Das ist nur ein Rechenspiel, denn ein Teil der Bergbausubventionen, z.B. für die Grundwassersicherung, fällt auch dann an, wenn keine einzige Tonne gefördert wird. Wir brauchen für die Umstrukturierung der Reviere den sanften Gleitflug, nicht die Radikalkur. Die SPD in NRW wird von der IGBE bedrängt, das Überbrückungskonzept einschließlich des vorgesehenen Kernenergieausbaus zu unterstützen. Wie kann die Partei, eingeklemmt zwischen den Nürnberger Beschlüssen und ihrer langjährigen Klientel im Bergbau, dieser Falle entkommen? Die SPD und die Landesregierung haben sich in der Tat selbst in eine Abseitsfalle begeben. Vor allem, weil seit Jahren nicht offen und ehrlich dargestellt wird, daß man den Bergbau auf Dauer in dieser Form nicht unterstützen kann. Den ersten Teil des Überbrückungskonzepts der IGBE kann die Partei voll mittragen, sie muß aber deutlich machen, daß sie keinen Millimeter von den Nürnberger Beschlüssen abrückt. Man darf nicht ständig allen nur nach dem Munde reden, die auf Besitzstandswahrung hoffen. Wir werden objektiv weder den Bergbau in der heutigen Form aufrechterhalten noch die Kernenergie weiterfahren können. Auch dort werden in den nächsten zehn Jahren neue Gesichtspunkte auftauchen, die heutige Befürworter von dem Kernenergiekurs runterbringen werden. Sind das nicht nur Hoffnungen ohne Realitätsbezug? Die SPD hat doch nicht einmal das Druckmittel, das die Energieunternehmen zwingen könnte, den Kernenergieanteil überhaupt herunterzufahren? Wenn die Unternehmen, die CDU–Länder und die Bundesregierung einen anderen Kurs wollen, bleibt ihre Perspektive nur ein schöner Plan. Auf Bundesebene sind die Chancen, in den nächsten Jahren zu einem Ausstieg aus der Kernenergie zu kommen, außerordentlich gering.... ..nicht einmal eine Reduzierung... ..ich glaube, daß das Übergangskonzept der IGBE, die Leistung der Kernkraftwerke herunterzufahren, gar keine schlechte Chancen hat. Die CDU kann sich einen strukturpolitischen Kahlschlag im Ruhrgebiet nicht erlauben. Die Chancen, darüberhinaus von der Kernenergie wegzukommen, sind vorerst auf Bundesebene sehr schlecht. Dagegen hat die Landesregierung gute Karten, um den Kurs beim Schnellen Brüter durchzuhalten. Was ich nicht verstehe, ist der Pessimismus in bezug auf den Hochtemperaturreaktor in Hamm–Uentrop. Vor zehn Jahren hat die Landesregierung in Sachen Kalkar auch immer erklärt, wir haben nicht die Möglichkeiten und Instrumente, Kalkar zu verhindern. Inzwischen bestehen die Möglichkeiten. Bei einer vernünftigen Auslegung der genehmigungsrechtlichen Instrumente muß auch der THTR keine endgültige Betriebsgenehmigung erhalten. Wegen der sicherheitstechnischen Bedenken? Aus sicherheitstechnischen Gründen und weil die Entsorgung nicht sichergestellt ist. Die Landesregierung hält an dem THTR fest. An die Prüfung der endgültigen Betriebsgenehmigung muß man offen ran gehen. Dann sind die Chancen nicht schlecht. Richtig ist aber auch, daß man den Probebetrieb nicht abbrechen kann. Dazu reichen die rechtlichen Instrumente nicht aus. Ansonsten gleichen sich die Argumente wie in der zurückliegenden parteiinternen Kalkar–Debatte. Ich will auch einmal etwas Persönliches sagen: Friedhelm Farthmann ist derjenige, der 18 Teilerrichtungsgenehmigungen für den Schnellen Brüter erteilt hat. Dann hat er den Amtswechsel vom Minister zum Fraktionsführer vorgenommen und war plötzlich der Anführer aller Bürgerinitiativen gegen Kalkar. Wenn das ein echter Lernprozeß über Nacht war, finde ich den außerordentlich gelungen und schwungvoll. Nur verstehe ich dann nicht, warum nicht auch für den Staatsreaktor von Nordrhein– Westfalen derselbe Lernprozeß durchgemacht werden kann. Was bei Kalkar möglich war, muß auch für den THTR gelten. Interview: Walter Jakobs