„Wie in den Zeiten des Frühkapitalismus“

■ Die von Mercedes Benz entlassenen südafrikanischen Arbeiter demonstrieren weiter für ihre Rechte / Gefeuerte Arbeiter wollen Neueinstellungen anderer nicht wehrlos hinnehmen / Grünen–Abgeordneter und Ex–Mercedes–Betriebsrat Hoss solidarisiert sich vor Ort

Aus East–London Hans Brandt

Auf dem Gelände der Mercedes– Benz of South Africa (MBSA) in East London herrscht geisterhafte Stille. Vereinzelt stehen Container mit Bauteilen aus der Bundesrepublik auf dem Werkshof. Ziellos fährt ab und zu ein Gabelstapler vorbei. Keine Maschinen brummen, keine Arbeiter hasten von Werkshalle zu Werkshalle. Stattdessen stehen hunderte von schwarzen Arbeitern in kleinen Gruppen vor den Werkstoren und lachen, während ein Mercedes nach dem anderen mit weißen Insassen vom Werkschutz vorbeigewunken wird. Die Manager müssen heute den Hintereingang benutzen, da die Werkstore seit gestern für die schwarze Belegschaft des Daimler Zweigwerkes geschlossen bleiben. Zur Sicherheit rüttelt einer der Werkspolizisten an der dicken Kette, die er um die beiden Torhälften gewickelt hat. Seit die 2.800 schwarzen Arbeiter vor fünf Wochen in den Ausstand traten, haben sie sich täglich auf dem Werksgelände versammelt. Am Mittwoch hat MBSA die gesamte schwarze Belegschaft gefeuert. Die Arbeiter lassen sich jedoch von den verschlossenen Toren nicht beeindrucken. In aller Ruhe gehen sie ein paar Straßen weiter zum MBSA–Verwaltungsgebäude. Die gepflegte Rasenfläche vor dem Gebäude ist gut für eine Versammlung geeignet. Im Hintergrund halten zwei giftgelbe Polizeifahrzeuge Wache. Doch es bleibt ruhig. Die Männer im Schlips und Kragen, die im ersten Stock die goldenen Spiegelfenster öffnen, hören genau, was die etwa 800 Arbeiter, die in einem großen Kreis auf dem Rasen sitzen, zu sagen haben. „Jetzt ist Mercedes endlich bloßgestellt“, sagt einer. „Die sind genau wie Polizisten und Soldaten.“ Ernest Mdingi nickt zustimmend. „Wie soll ich mit den 80 Rand (etwa 72 Mark), die ich nach allen Abzügen jede Woche kriege, meine Miete zahlen, meine Kinder zur Schule schicken, Lebensmittel und Kleidung kaufen?“ fragt der ungelernte Arbeiter, der einen Mindestlohn von 3,50 Rand (3,15 Mark) pro Stunde bekommt. „Wir wollen fünf Rand pro Stunde. Wenn wir das nicht kriegen, gehen wir nicht zurück.“ Ein zweiter Arbeiter klagt über Rassismus am Arbeitsplatz. „Die Weißen essen in getrennten Kantinen“, sagt Leon Exford. „Und wenn hier ein neuer weißer Vorarbeiter eingestellt wird, lernt er die Arbeit von einem Schwarzen. Nach zwei Monaten ist er dann der Vorgesetzte dieses Schwarzen.“ Verärgert berichtet er auch, daß die meisten Weißen beim Militär dienen. „Da gibt es Leute, mit denen wir täglich zusammenarbeiten“, erzählt er. „Aber als Solda ten in Uniform patrouillieren sie auch in Panzerfahrzeugen in unsere Townships.“ Einer der Betriebsräte warnte inzwischen die Firmenleitung, daß sie zumindest in East London keine neuen Arbeiter finden werden. „Sie können versuchen, Mitglieder der (konservativen Zulu– Gewerkschaft) UWUSA einzustellen“, ruft er. „Wenn die hierher kommen, werden wir schon mit ihnen umzugehen wissen.“ Willi Hoss, Bundestagsabgeordneter der Grünen und ehemaliger Daimler–Betriebsrat, wird vorgestellt. Als er ankündigt, daß der Mindestlohn bei Daimler in der Bundesrepublik 14,20 Mark ist, heben die Streikenden verärgert ihre Fäuste in die Höhe. „Fünf Rand, wir wollen nur fünf Rand“, ruft einer. Hoss fühlt sich an die „schlimmsten Zeiten des Frühkapitalismus und Kolonialismus“ erinnert. „Ich werde einen dringenden Appell an den IG–Metall Vorsitzenden Franz Steinkühler richten, den Einfluß der Organisation im Sinne der internationalen Solidarität zu nutzen“, sagt er. „Es ist ein Skandal, daß die hier seit fünf Wochen streiken, und bei uns gibt es außer Papier keine Reaktion.“ Allerdings ist der Streik auch für die südafrikanische Metallgewerkschaft NUMSA nicht unproblematisch. „Eigentlich ist es schon ein Sieg, daß die Arbeitgeber mit der Kürzung der Arbeitszeit den Lohn nicht kürzen, und schon einen Stundenlohn von 4,04 Mark angeboten haben“, sagt NUMSA–Sprecher Viwe Gxarise. Aber die Militanz an der Basis läßt eine Beilegung des Streiks nicht zu. „Wir geben nicht auf“, sagt einer der älteren Arbeiter bei der Versammlung. „Wir werden weiter kämpfen bis wir sterben.“