„Bahnfahrt in die Pleite“

■ Bahngewerkschafter blasen zum „Sturm auf Bonn“ / 20.000 streiken gegen Personalabbau / Seit 1974 wurden 144.000 Stellen gestrichen / 60 Prozent des Streckennetzes sollen stillgelegt werden

Von Luitgard Koch

Passau/Bonn (taz) - Gegen die „Zerschlagung und Zerstückelung“ der Bundesbahn haben gestern in Bonn ungefähr 20.000 Eisenbahner protestiert. Auf einer Kundgebung der Gewerkschaft der Eisenbahner Deutschlands (GdED) warf deren Vorsitzender, der SPD–Bundestagsabgeordnete Ernst Haar, der Bundesregierung Demonatage und Ausverkauf des Unternehmens vor. Unter dem Beifall der demonstrierenden Eisenbahner prangerte Haar auf dem Bonner Münsterplatz an, daß die Bundesbahn Strecken stillege, Bahnhöfe schließe, Züge aus dem Fahrplan streiche und zunehmend Dienstzweige privatisiere. Vorher hatte Haar auf einer Pressekonferenz die drohende Vernichtung von weiteren 40.000 Arbeitsplätzen bis 1990 als „sinnlosen Kahl schlag“ verurteilt. Die Weichen für den Protest hat die 360.000 Mitglieder zählende Gewerkschaft der Eisenbahner (GdED) (Organisationsgrad 85 aufmerksam zu machen. Insgesamt sollen 60 Prozent des Netzes abgebaut werden. Innerhalb von elf Jahren wurden im Raum Passau mehr als 800 Arbeitsplätze bei der Bahn gestrichen. Mit dem Verlust von weiteren 400 Arbeitsplätzen rechnet der Passauer GdED–Vorsitzende Georg Radinger in den nächsten Jahren. Seit 1974 hat die Bahn bundesweit 144.000 Arbeitsplätze vernichtet, 57.000 Stellen innerhalb der vergangenen fünf Jahre. Weitere 32.000 Arbeitsplätze der momentan 270.000 werden bis 1990 nach der geplanten Schließung der Güterabfertigung in 1.200 Bahnhöfen dem Rotstift zum Opfer fallen. Der Personalabbau gehört zur „Unternehmensphilosophie“ des DB–Vorstands unter dem früheren IBM–Manager Rainer Gohlke. Wie die GdDE feststellt, ist es der Bahn jedoch trotz des Abbaus nicht gelungen, aus den roten Zahlen zu kommen. Für 87 rechnet der stellvertretende Vorsitzende der GdED Schäfer mit einem jährlichen Defizit von vier Milliarden. Hinter dem Streckenabbau für den Güterverkehr steckt nach Ansicht der Gewerkschaft das „Strickmuster Streckenstillegung“. Nachdem auf bestimmten Strecken kein Güterverkehr mehr betrieben wird, müssen die Kosten dem Personennahverkehr angelastet werden. Folge: Das entstehende Defizit führt zwangsläufig zur Einstellung des gesamten Schienenverkehrs. Für die Gewerkschaft ist klar, daß mit dieser Politik die „kleine, aber feine Bahn“, beschränkt auf Ballungszentren, für eine gutbetuchte Kundschaft angesteuert wird. Ziel der Bahn sei es, bis 1990 im Personenverkehr 15.500 Bahnkilometer abzubauen und das Netz des Güterverkehrs auf eine Länge von 22.000 km zu reduzieren; von insgesamt 374 Stückgutbahnhöfen sollen künftig nur noch 245 übrigbleiben. Das Geschäft mache am Ende die von der Bahn beauftragte Spedition. Das wird auch von der DB nicht bestritten. „Die LKW–Lobby in Bonn ist einfach zu stark“, vermutet man in Gewerkschaftskreisen. Allein in Bayern wird durch diese Maßnahmen bis zum Jahr 2000 der Transitgüterverkehr um 250% steigen. Zwangsläufig wird damit auch der Gefahrengüter–Transport auf der Straße zunehmen. Auch der Güterbahnhof in Herborn, nach dem verheerenden Tanklastunglück bundesweit bekannt, wird geschlossen. „Wenn nicht gehandelt wird, fährt die Bundesbahn in die Pleite“, prophezeit Schäfer. Um den „Ausverkauf der Bahn“ zu stoppen, müsse die Wettbewerbsfähigkeit gerade im Güterverkehr verbessert werden. Die Schulden der Bahn von 35 Mrd. sowie die Kosten der Schieneninfrastruktur müßten von der öffentlichen Hand übernommen werden, auch der Bau von Autobahnen wird ja finanziert.