Populistischer Wahltrick

■ Grüne Politik der „wechselnden Mehrheiten“

Auf den ersten Blick hat das Strategiekonzept „Politische Kultur durch wechselnde Mehrheiten“ Grüner Landtagspolitiker Baden–Württembergs durchaus etwas Faszinierendes. Man stelle sich vor, ein Parlament repräsentierte, mal mehr nach links, zur Mitte oder auch nach rechts, ganz das, was Volkes Stimme sich erwünscht und hofft: Fast eine permanente Volksabstimmung. Doch auf den zweiten Blick verblaßt der Reiz. Was anders als eine politische Kultur wechselnder Mehrheiten hat sich denn in der Vergangenheit deutscher Parlamente abgespielt, was anders denn treiben Lobbyisten mit unseren Volksvertretern? Woraus besteht denn sonst die Existenzberechtigung der Liberalen? Das einzig Neue am Vorschlag der Grünen liegt doch darin, öffentlich sichtbar zu machen, wer mit wem und weshalb das Lotterbett geteilt hat. Die Vorstellung, daß FDP oder Sozialdemokraten ein Interesse daran haben könnten, ein Lothar Späth–Minderheitskabinett zu tolerieren, ohne an der Macht zu partizipieren, ist mit Verlaub absurd. Interesse an solcherart Toleranz, verbunden mit der Hoffnung auf ein freies Spiel der Kräfte, hat nur, wer machtlos ist und das bei allen denkbaren zukünftigen Konstellationen auch bleiben wird. Ein populistischer Wahltrick also, nachdem Hoffnungen auf Rot/Grün gründlich in die Binsen gingen? Umweltschutz und Politik für den ländlichen Raum hat mittlerweile auch die CDU entdeckt, mit atomaren Ausstiegsszenarien und Nullrüstungen tun sich FDP und SPD dick, was also bleibt den Grünen? Die Hoffnung, bei wechselnden Mehrheiten ab und an das Zünglein an der Waage spielen zu können, sollte die Grünen nicht davon abhalten, noch weit deutlicher als bisher klarzumachen, daß die restlichen Parteien die politische Marschrichtung unter sich ausmachen. Dietrich Willier