Neues Urteil: Ohrfeige für Volkszähler

■ Verwaltungsgericht gibt Antrag von Volkszählungsgegnerin statt / Hilfsmerkmale dürften nicht an Statistische Landesämter weitergegeben werden / Stein des Anstoßes: Paragraph 15 / Gute Aussichten für VolkszählungsgegnerInnen im Hessischen

Von Vera Gaserow

Berlin (taz) - Mit kaum verdeckten Zweifeln an der Verfassungsmäßigkeit des Paragraphen 15 des Volkszählungsgesetzes hat jetzt das Verwaltungsgericht Wiesbaden in einer Leitentscheidung den Bedenken einer Volkszählungsgegnerin zugestimmt und ihrem Antrag auf aufschiebende Wirkung gegen den Heranziehungsbescheid der Erhebungsstelle stattgegeben. Eine Pflicht zur Beteiligung an der Volkszählung bestehe nur dann, so argumentierte die Vierte Kammer unter dem Vorsitz des Präsidenten des Wiesbadener Verwaltungsgerichts, wenn die Volkszählung völlig korrekt durchgeführt werde. Daran äußern die Wiesbadener Verwaltungsrichter in ihrem 34seitigen Beschluß jedoch erhebliche Zweifel. Anstoß erregte bei ihnen in erster Linie der Paragraph 15 des Volkszählungsgesetzes, der vorsieht, daß die Hilfsmerkmale der Zählung, wie Name und Adresse der Auskunftspflichtigen erst nach Feststellung der amtlichen Bevölkerungszahl von den Statistischen Landesämtern vernichtet werden. Dies wird voraussichtlich Mitte nächsten Jahres sein. Nach Ansicht des Wiesbadener Verwaltungsgerichts verstößt das jedoch gegen das „verfassungsrechtlich unverzichtbare Gebot“ einer möglichst frühzeitigen Anonymisierung der Daten. Die Richter vertraten die Auffassung, daß die Hilfsmerkmale gar nicht erst an die Statistischen Landesämter weitergeleitet werden dürfen. Die Eingangskontrolle, für die allein Name und Anschrift wichtig sind, dürfte nur von den örtlichen Erhebungsstellen vorgenommen werden. Dadurch entstehende Schwierigkeiten bei der Abwicklung der Zählung müßten in Kauf genommen werden. Mit dieser Rechtsauffassung übte das Verwaltungsgericht offene Kritik an den anderslautenden Vorschriften des Volkszählungsgesetzes. Den Eklat, das Volkszählungsgesetz damit in diesem Punkt für verfassugnswidrig zu erklären, umschifften die Richter jedoch. Wenn die Erhebungsstellen jedem einzelnen Auskunftspflichtigen schriftlich zusicherten, daß die Hilfsmerkmale die Erhebungsstelle nicht verließen, dann sei das verfassungsmäßig noch vertretbar. Fortsetzung auf Seite 2 Kein Täter fragt im Ernstfall nach Gesetzen. Die strengste Satzung ist nur Konvention. Und heilig ist allein der große Hohn, mit dem Befugte Heiligstes verletzen. Ein andres ist, Gesetze willig achten. Der Freiste wird villeicht der Strengste sein. Er fügt sich gütig in ein Ganzes ein; - (man kann die Welt auch bürgerlich betrachten). C H R I S T I A N M O R G E N S T E R N Diese jetzt von dem Gericht vorgegebene Vorgehensweise dürfte die hessischen Erhebungsstellen, die eh schon in Zeitverzug sind und unter Personalnot leiden, in erhebliche Schwierigkeiten stürzen. Vom Statistischen Landesamt Hessen war gestern keine Stellungnahme zu dieser Aufsehen erregenden Entscheidung zu bekommen. Es ist jedoch zu erwarten, daß die Behörden versuchen werden, dieses Urteil vor dem hessischen Verwaltungsgerichtshof anzufechten. Volkszählungsgegner im Raum Wiebaden, Limburg und im Taunuskreis haben jedoch jetzt gute Erfolgsaussichten, und auch andere Auskunftsunwillige können sich bei ihren Widersprüchsbegründungen auf die Wiesbadener Entscheidung berufen (AZ: IV H 738/87)