Erziehung zum Rassismus in Großbritannien?

■ Ein Gruppe britischer Eltern weigert sich, ihre Kinder in die lokale Grundschule zu schicken, weil dort der Anteil asiatischer Schüler über 80 Prozent liegt / Keine „rassistischen“, sondern nur „kulturelle Argumente“ bei den Boykotteuren?

Aus Dewsbury Rolf Paasch

Dewsbury, ein etwas verschlafenes Industriestädtchen in der nordenglischen Grafschaft Yorkshire, um 8.45 Uhr in der Frühe. Wie jeden Morgen kommen die Kinder aus den Seitenstraßen des Stadtteils Thornill und streben „Headfield School“, der örtlichen Grundschule, zu. Die Kleinsten werden noch von ihren Müttern begleitet, deren Saris im frischen Septemberwind flattern. 85 Prozent der Schüler von „Headfield School“ sind asiatischer Abstammung. Zwei Meilen nördlich, schon am Rande des welligen Farmlandes West–Yorkshires, gleichen sich die Bilder. Nur sind es hier weißhäutige Knirpse, die an der Hand ihrer Eltern auf die dortige „Overthorpe School“ zumarschieren. Auf 26 dieser Kinder wartet in der Schule allerdings kein Lehrpersonal, sondern eine Horde von Presseleuten und Fotografen. Seit sechs Tagen werden die Kinder von ihren Eltern in die Schule ihrer Wahl nach Overthorpe geschickt. Seit sechs Tagen weist Schuldirektor Douglas Hirst die Kleinen an der Eingangtür wieder zurück. Die lokale Erziehungsbehörde hat hier für die 26 Zöglinge keine Plätze vorgesehen. „Wir haben keine rassististischen, sondern nur kulturelle Argumente gegen Headfield School, sagt Eric Haley, der An führer der aufständischen Eltern, in die Mikrophone der Fernsehteams. Der Schulkonflikt von Dewsbury schlägt in Großbritannien seit einer Woche hohe Wellen. Mehr Macht den Eltern bei der Auswahl der Schule, fordern die einen. Rassismus im Klassenzimmer, befürchten die anderen. Am Abend zuvor hatte Bildungsminister Kenneth Baker der lokalen Er ziehungsbehörde in ihrer Zuweisung der Kinder nach Headfield recht geben müssen. Noch fehlen dem obersten Erzieher der Konservativen Partei Margaret Thatchers die rechtlichen Mittel, um den empörten Eltern zur Schule ihrer Wahl zu verhelfen. Das soll sich bald ändern. „Parent Power“, das hatten die Tories im letzten Wahlkampf lauthals verspro chen. Die gewählten und meist von der Labour Party dominierten Lokalbehörden sollen aus politischen Motiven weiter geschwächt werden. Mit dem neuen, im Jahr 1989 zu verabschiedenden Erziehungsgesetz wird dann die bisherige fortschrittliche Regelung aus dem Jahr 1949 außer Kraft treten, mit deren Hilfe 100 Prozent asiatische und 100 Prozent weiße Schulen durch das Eingreifen der Schulbehörde verhindert werden sollten. Draußen vor dem Schultor kommt Elternsprecher Eric Haley jetzt vor den Kameras in Fahrt. Ein KÜßchen für die Reporterin vom Abendblatt, weil ihr Artikel für die ausgesperrten Eltern Partei ergriff. „Ich hab zu Hause einen ganzen Sack voll Post“, sagt Eric, „das ganze Land steht hinter uns.“ Als er in dem Menschenauflauf eine kleine Gruppe von Indern bemerkt, stürzt er gleich auf sie zu. „Hello Sunshine, komm gib mir deine Hand!“. „Ihr seit doch bestimmt auf unserer Seite. Euch Eure Schule und uns unsere Schule.“ So ähnlich müssen auch die britischen Kolonialherren in Indien „Freunde gemacht“ haben. Der 24jährige Mohammed weiß kaum, wie ihm vor den Augen der Kameras geschieht. Eigentlich war er nur hierhier gekommen, so erzählt er uns später, um sich ein Bild von den Forderungen der 26 Eltern zu machen. Er gehört zur zweiten, bereits in Großbritannien geborenen Generation von Indern aus der Provinz Gujarati. Seine Eltern waren in den 60er Jahren als billige Arbeitskräfte in die Textilfabriken Yorkshires gekommen. Es sind seine Kinder, von denen Leute wie Erik Haley ihre Sprößlinge fernhalten wollen. „Wer in einer gemischtkulturellen Gesellschaft wie in Großbritannien lebt, der soll das auch in der Schule akzeptieren“, ist seine Einstellung. Hinter dem Eintreten für das Recht auf die freie Wahl der Schule vermutet er eher rassistische Motive. Nicht alle Mitglieder der asiatischen Gemeinden in Yorkshire und anderswo denken so. Zwischen den 26 Eltern von Dewsbury und Teilen der moslemischen Bevölkerung im benachbarten Bradford entstehen im Widerstand gegen die Schulpolitik der Erziehungsbehörde überraschende Cross–Allianzen. Auch Teile der moslemischen Gemeinde befürworten eine Segretation, rein moslemische neben rein christlichen Schulen. Mittlerweile ist es den Eltern zum ersten Mal gelungen, ihre Sprößlinge in eines der Klassenzimmer von „Overthorpe School“ zu schleusen. Von draußen pressen sich die Objektive an die Fensterscheiben, um die Kinder beim Spiel ohne Lehrer zu filmen. Herr MacMillan, der Leiter der Schulbehörde, hat unterdessen angerufen, um mitzuteilen, daß der Lehrer drunten in „Headfield School“ auf die Neuzugänge warte. Keines der Elternpaare hat es bisher für nötig befunden, der dortigen Grundschule, die von der Anglikanischen Kirche betrieben wird, auch nur einen Informationsbesuch abzustatten. Dort wird nämlich nicht der Koran gelehrt, sondern das ganz gewöhnliche Curriculum. „Die indischen Eltern wollen, daß ihre Kinder hier eine ganz gewöhnliche britische Erziehung erhalten“, erklärt uns der Stellvertretene Direktor von „Headfield School“, John Robb. „Viele der Eltern sagen, die Moschee ist für die Religion, die Schule für die Erziehung.“ Auch gebe es keinerlei wissenschaftliche Belege für die These sinkender Standards durch einen überproportionalen Anteil farbiger Kinder, betont John Rodd, der von vielen Seiten Komplimente für seine kleine Schule erhält. Bei den aufständischen Eltern vor den Toren von „Oversthorpe School“ stoßen solche Argumente allerdings auf wenig Verständnis. „Wir wollen das Recht, uns die Schule für unsere Kinder selbst auszusuchen“, bekräftigt Kevin Thurlow, Vater einer elfjährigen Tochter. „Das ist eine politische Frage.“