War Games zwischen Dörfern und Heidekraut

■ Im Niedersächsischen Landkreis Soltau–Fallingbostel rücken 85.000 Soldaten zum größten Herbstmanöver seit Kriegsende an / Grüne rufen zum Protest auf / Der Heidekreis ist das von Militär am meisten belastete Gebiet in Westeuropa

Von Ute Scheub

Hamburg/Soltau (taz) - Wenn die Heide rot erblüht, werden die Bewohner des Landkreises Soltau–Fallingbostel wieder in Angst und Schrecken versetzt. Einige denken darüber nach, „aus Sicherheitsgründen“ ihre Kinder nicht zur Schule zu schicken. Andere wollen einem Aufruf der Grünen folgen und weiße Tücher als Zeichen des Protestes aus Fenstern und Autos hängen. Denn mitten in der Heideblütezeit übt die NATO Krieg. Seit dem gestrigen Sonntag und noch bis 24. September rücken 85.000 NATO– Soldaten, darunter 35.000 Amerikaner, zum größten Herbstmanöver seit Kriegsende an. 5.000 Panzer und 17.000 Kraftwagen krachen durch Ortschaften und Naturschutzgebiet, 300 Tiefflieger und 300 Hubschrauber dröhnen über die Häuser, und unter dem Gefechtsnamen „Certain Strike“ probt die Artillerie ihr Dauerfeuer. „Reforger 87“ heißt diese gigantische NATO–Übung, ausgeschrieben „Returning Forces to Germany“ - die Rückkehr der Alliierten nach Deutschland. Doch im Landkreis Soltau–Fallingbostel ist diese Bezeichnung eigentlich irreführend, denn von dort sind sie nie verschwunden. Die von ihnen im Zweiten Weltkrieg besetzte Region wurde nie geräumt, sie wurde im 1959 unterzeichneten „Soltau–Lüneburg– Abkommen“ zwischen der Bundesrepublik, Großbritannien und Kanada auswärtigen Truppen förmlich als Übungsgebiet überlassen. Auch die Bundeswehr hat sich breitgemacht. Truppenübungsplätze von NATO und deutschem Heer, Schießbahnen, Garnisonen, Tiefflugbahnen, Munitionsdepots, die „Rote Flächen“ genannten Übungsgebiete: Diese Konzentration von militärischen Einrichtungen ist einmalig in Westeuropa, wenn nicht sogar in der ganzen Welt. Sie hat den Raum zwischen Soltau und Lüneburg zum einzigen bewohnten Truppenübungsplatz Westeuropras gemacht. Von daher ist die Belastung der Bevölkerung schon außerhalb der Großmanöver extrem. Daß Panzer erntebereite Äcker zerquetschen und durch Ortschaften donnern, daß Tiefflieger oder Artillerieschützen keine Rücksicht auf Nacht– und Feiertagsruhe nehmen, gehört zum Alltag der Einwohner. Immer wieder ereignen sich böse Unfälle - Autos fahren auf Panzer zu, Panzerdiesel versickert im Naturschutzgebiet Lüneburger Heide, Menschen werden von Granaten schwer verletzt - zuletzt etwa im April 1986 eine britische Mutter mit ihren drei Kindern. Zahllose Eingaben von Kreisverwaltung und BürgerInnen an die Bundesregierung fruchteten nichts. Von Politikern versprochene Verhandlungen mit den Briten ergaben ebensowenig. Von daher regt sich selbst in diesem stockkonservativen Landkreis, in dem kaum jemand grund sätzlich etwas gegen NATO und Bundeswehr einzuwenden hat, der Protest. Fünf Initivativen oder Bürgergruppen sind in der letzten Zeit entstanden, die sich gegen spezielle Militäreinrichtungen oder gegen die Dauerbelastung ganz allgemein wehren. „Das ge plante Großmanöver Reforger vertärkt erheblich unsere Zweifel, ob wir Menschen, Tieren und Pflanzen das zumuten dürfen“, heißt es etwa in einer Erklärung, die Ende August von BürgerInnen des Örtchens Neuenkirchen ver abschiedet wurde. Weiter wird die vorsichtige Frage formuliert, „ob Manöver zur Zeit sinnvoll sind, da in Genf über eine erhebliche Rücknahme militärischer Großtechnologie verhandelt wird“. Genau darum aber geht es den NATO–Strategen: um die Erpro bung neuer „konventioneller“ Strategien und Waffen, die der Gefährlichkeit atomarer Systeme bald in nichts mehr nachstehen. Niedersachsens CDU–Innenminister Wilfried Hasselmann dazu: „Diese 80.000 Soldaten werden im September in Niedersachsen ihre Fähigkeit unter Beweis stellen, ein konventionelles Abwehrgefecht zu führen.“ Das sei gerade „in der derzeitigen Abrüstungsdebatte von besonderer politischer Bedeutung“. Hasselmann weiter: „Unser Land wird dafür Opfer bringen. 80.000 Soldaten können sich nicht mit schwerem Gerät in der Landschaft bewegen, ohne daß es zu Störungen und Schäden kommt.“ (Siehe dazu ausführlichen Artikel in einem Teil der Hamburg–Ausgabe)