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„Verein für Socialpolitik“ - kein Kampfverein mehr

■ Rudolf Hickel von der Bremer Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik portraitierte für die taz den noblen, stockkonservativen Verein / Kohl gibt sich die Ehre

Von Rudolf Hickel

Das Ereignis - so es denn eines wird - ist für den Zustand der herrschenden Wirtschaftswissenschaft bezeichnend. Erst im zwölften Jahr der Dauerarbeitslosigkeit, die auch im schon wieder zusammenbrechenden, jüngsten Konjunkturaufschwung nicht abgebaut werden konnte, nimmt sich der Verein der bundesdeutschen Ökonomen–Zunft dieses Themas an. Die „Gesellschaft für Wirtschaft– und Sozialwissenschaften - Verein für Socialpolitik“ hat vom Montag bis Dienstag dieser Woche mit ihrer Jahrestagung in der TU Berlin zum wohl bewußt nebulös gehaltenen Generalthema eingeladen: „Beschäftigungsprobleme hochentwickelter Volkswirtschaften“. Die Auswahl der Themen, vor allem aber der Referenten, reproduziert perfekt die Monopolsituation dieser Nationalökonomie, die für ihre Arbeit an den Akademien die ansonsten viel gepriesenen Regeln der freien Konkurrenz nicht gelten läßt. Die Kongreßbotschaft, die es in drei Tagen zu verkünden gilt, liegt fest: getreu der neoklassischen Doktrin von den segensreichen und vollbeschäftigungsstiftenden Wirkungen entfesselter Markt– oder besser Kapitalkräfte konzentriert sich die Suche nach den Ursachen der Arbeitslosigkeit auf die reformstaatliche Politik und die Gewerkschaften. Dafür stehen viele Referate, vor allem das im Arbeitskreis, das die „Beschäftigungsprobleme in einer regulierten Welt“ zum Thema hat. Was an sozialem und tariflichem Schutz abhängiger Beschäftigter im real existierenden Kapitalismus durchgesetzt werden konnte, wurde zu Ursachen der Arbeitslosigkeit umgemünzt. Durch diesen kommoden Freispruch der Gewinnwirtschaft von Krisenursachen gerät die neoklassische Beschäftigungsstrategie zur Rechtfertigung einer unternehmensstärkenden Ordnungspolitik. Das Eröffnungsreferat hält mit Roland Vanbel ein wahrhaft radikaler Verfechter der Marktwirtschaft. Olaf Siebert, der einst den Sachverständigenrat der Bundesregierung auf entsprechendem Kurs hielt, stellt in der Schluß stunde die große Prominenz dar. Ansonsten fehlen die großen Namen aus der konservativen Ecke der Wissenschaft. Merkwürdigerweise hat man von seiten der Opposition ein namhafteres Aufgebot. Die Kongreßregie kann es sich jedoch nicht leisten, die Kritiker dieser radikalen Kapitalismusdoktrin ganz auszuschließen. Winfried Vogt mit seinem antikapitalistischen Modell einer „laboristischen Ökonomie“, der aufrechte Kurt W. Rothschild, der ein Referat zu den Gewerkschaften hält, der Keynesforscher Hajo Riese, und wenige andere stehen dafür im Progranmm. Versuche, kritische Beiträge einzubringen, sind jedoch auch schon an der Hürde der Vorbereitungsgruppe dieses Kongresses gescheitert. Den Blick über den Tellerrand der wirtschaftswissenschaftlichen Modellschreinerei übernimmt Martin Baethge mit dem Thema „Qualifikationsveränderungen im technischen und wirtschaftlichen Wandel“. Wenn auch - typisch für diese Zunft - kein professoraler Einsatz einer Frau vorgesehen ist und lediglich der unermüdlichen Ursula Engelen–Kefer von der Bundesanstalt für Arbeit (ehemals DGB) ein Stuhl im Abschlußpodium reserviert wurde, so erscheint das Thema „Beschäf tigungsprobleme der Frauen“ immerhin im Programm. Von dieser Jahrestagung der Ökonomen–Zunft sind kaum neue, vor allem kritische Impulse zu erwarten. Der Bundeskanzler, der der versammelten Festgemeinde zum Abschluß die Ehre erweist, kann sich sicher sein, von der großen Mehrheit mit wirtschaftswissenschaftlichen Rechtfertigungen und gar neuem Herrschaftswissen ausgestattet zu werden. Dabei hat die Geschichte dieses traditionsreichen „Vereins für Socialpolitik“ ganz anders begonnen. Gustav Schmollers grundsätzliche Positionsbestimmung auf der Gründungstagung in Eisenach im Oktober 1872 hätte, selbst wenn sie den heutigen Verhältnissen angepaßt würde, keine Chance. Originalton: Es gilt „eine Basis für die Reform unserer sozialen Verhältnisse, allgemeine Zustimmung zu erwerben für Gedanken, die... in der öffentlichen Meinung noch nicht zur Herrschaft gelangt sind“. Weiterhin: Der „tiefe Zwiespalt, der durch unsere gesellschaftlichen Zustände geht, der Kampf, welcher heute Unternehmer und Arbeiter, besitzende und nichtbesitzende Klassen trennt“, hat Zweifel an der Haltbarkeit „der auf dem Markt des Tages unbedingt herrschenden volkswirtschaftlichen Doktrin“, die übrigens heute stärker denn je dominiert, verbreitet. Respekt verlangt auch die Tatsache, daß sich der „Verein für Socialpolitik“, der ohnehin durch die erzwungene Emigration jüdischer Professoren geschwächt war, 1936, als er engültig im Faschismus gleichgeschaltet werden sollte, selbst auflöste. Die Flut an Veröffentlichungen, die seit seiner Wiedergründung 1948 abgesondert wurden, kann nicht darüber hinwegtäuschen: Dieser - wie ein Kritiker der ersten Stunde es titulierte - „sozialpolitische Agitationsverein“ ist nicht mal mehr eine „Spektakelbühne für Professorengezänk“. Die großen Schulenstreits, wie sie etwa noch Max Weber mit der Werturteilsdebatte Anfang dieses Jahrhunderts ausgelöst hat, gehören längst der Geschichte an. Politische Zukunftsentwürfe zur Überwindung der Massenarbeitslosigkeit bei ökologischer Umstrukturierung der Wirtschaft können in diesem Klima marktradikaler Besitzstandpflege kaum aufkommen. Kreative Diskussionen gerade auch zum Thema Massenbarbeitslosigkeit finden deshalb nur am Rande und außerhalb der für Polit–Ökonomen abgeschotteten Arbeit dieses Vereins zur Pflege des Herrschaftswissens statt.

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