Mercedes rollt im alten kolonialistischen Trend

■ Pioniergeist der europäischen Kolonisatoren wird mit monumentalem Pomp gepflegt und von Mercedes–Benz noch heute in die Praxis umgesetzt / Weiße Einwohner von East London sehen „ihre“ Stadt als Bollwerk gegen Homelands

Von Hans Brandt

East London (taz) - An der Strandpromenade von East London steht seit 30 Jahren eine steinerne Familiengruppe und schaut starrenden Blickes auf die Wellen des Indischen Ozeans. Vater hat seinen kräftigen Arm um Mutter gelegt, die wiederum die Tocher umarmt, die selbst eine steinerne Puppe ans Herz drückt. „Den deutschen Einwanderern“ ist das Monument gewidmet. An dieser Küste landeten 1857 die ersten 2.315 deutschen Frauen, Männer und Kinder, die sich in der östlichen Kapprovinz ansiedelten. Sie gründeten Orte mit vertrauten Namen: Potsdam, Berlin, Hamburg, Frankfurt, Hannover. Auch heute hat East London seine Verbindung mit den Deutschen nicht aufgegeben. Einladend streckt Mutter ihren üppigen Granitbusen den Frachtern entgegen, die aus der Bundesrepublik Bauteile für die noblen Mercedes– Wagen im Hafen von East London löschen. 1857 kamen die Deutschen als Mitglieder der Deutsch–Britischen Legion, um die Kapkolonie gegen plündernde schwarze Horden im unerschlossenen Hinterland der Region zu verteidigen. Doch als Pioniere und Siedler wurden sie „den an sie gestellten Erwartungen nicht gerecht“, wie es im offiziellen Jahrbuch der südafrikanischen Regierung heißt. Einige wurden nach Indien weitergeschickt, andere aus der Armee entlassen. Erst mit der Ansiedlung weiterer Immigranten wurde es für die Kämpfer des Xhosa–Stammes schwieriger, in die britische Kolonie einzudringen. Der Pioniergeist der frühen Siedler findet sich noch heute bei Mercedes–Benz of South Africa (MBSA). Nach einem fünfwöchigen Streik für besseren Lohn wurden letzte Woche 2.800 schwarze Arbeiter, die gesamte Belegschaft, beim Mercedes–Werk in East London gefeuert. Das Pionierdenken, das Bewußtsein, an der Grenze zum unkontrollierbaren schwarzen Afrika zu leben, ist für die Weißen in East London charakteristisch. Noch heute ist die Region allgemein als „Border“ (“Grenze“) bekannt. Hier und da sind die Ruinen der Forts zu besichtigen, die zur Verteidigung gegen die Xhosa– Heere gebaut wurden. Die Xhosas sind inzwischen in die beiden „unabhängigen“ Homelands Ciskei und Transkei abgeschoben worden. Doch East London liegt tatsächlich noch immer an der „Grenze“, in einem engen „weißen“ Korridor zwischen Ciskei im Westen und Transkei im Osten. In dem größten schwarzen Wohngebiet der Stadt, Mdantsane, leben etwa eine halbe Million Schwarze, darunter viele der Mercedes–Arbeiter. Die Häuser sind alle nach demselben Plan gebaut. Vier kleine Zimmer, eine einfache Toilette und Dusche - insgesamt eine Wohnfläche von etwa 40 Quadratmetern. Das Dach ist mit asbesthaltigen Platten bedeckt, die Zimmer haben keine Decke. Eigentümer ist die Ciskei–Regierung, die monatlich 45 Rand (etwa 40 Mark) Miete fordert. „Wenn wir Strom im Haus wollen, müssen wir selbst für die Installation zahlen“, sagt einer der Arbeiter, Eric Ngqumba. Er wohnt hier mit seiner Mutter, seiner Frau und fünf Kindern, die alle von seinem Einkommen (umgerechnet etwa 90 Mark) abhängig sind. Damit nicht genug: „Es war im November“, erzählt er. „Eine schwere Planierraupe rollte außer Kontrolle den Berghang hinunter und durch mein Haus. Zwei Zimmer wurden vollkommen zerstört. Zwei meiner Kinder kamen ums Leben.“ Er mußte das Haus selbst reparieren. Ein zweiter Mercedes–Arbeiter erzählt, daß es gefählich sein kann, in der Spätschicht zu arbeiten. Denn in Mdantsane hat die Ciskei zwischen 23 Uhr abends und 4 Uhr morgens eine Sperrstunde verhängt. Als er nach einer Spätschicht vor einigen Monaten nach Hause kam, wurde er von etwa fünf Polizisten gestellt und mit schweren Gummipeitschen verprügelt. Er zeigt mir Fotos von seinem Rücken, mit Dutzenden von Striemen überzogen. „Wir haben uns über die Spätschicht bei der Werksleitung beschwert“, sagt er. „Aber die hören nicht auf uns.“ Niemand weiß genau, wie hoch die Arbeitslosigkeit in Mdantsane ist. Schätzungen reichen von 20 bis 50 Prozent. Tausende von Arbeitskräften drängen aus Ciskei und Transkei auf den Markt. Doch die Autoindustrie, die in East London und der zweiten Hafenstadt der Region, Port Elizabeth, ausschlaggebend ist, ist von der anhaltenden Rezession der südafrikanischen Wirtschaft schwer getroffen worden. Auch im Hafen von East London, dem einzigen Flusshafen Südafrikas, werden nicht mehr so viele Güter umgeschlagen. Der Streik im Mercedes–Werk trifft die gesamte Stadt. „Mindestens 150 Mio. Rand (135 Mio Mark) gehen der regionalen Wirtschaft verloren“, beklagte sich letzte Woche die Tageszeitung Daily Despatch in East London. Die MBSA–Bosse hoffen, daß die hohe Arbeitslosigkeit in der Region es ihnen leicht machen wird, Ersatz für die entlassenen Arbeiter zu finden. Die Arbeiter selbst sind da anderer Meinung: „Hier in East London werden sie keinen Erfolg mit der Rekrutierung neuer Arbeiter haben“, sagt ein Betriebsrat beim Mercedes– Werk. Er betont, daß seine schwarzen Nachbarn in den Townships der Stadt den Streik unterstützen und den streikenden Arbeitern sogar mit Lebensmitteln helfen. Tatsächlich gibt es eine langjährige, militante Tradition in der östlichen Kapprovinz. Hier hat der afrikanische Nationalkongreß (ANC) traditionell die stärkste Unterstützung gehabt. Im Laufe der Aufstände der letzten zwei Jahre war die östliche Kapprovinz ein Brennpunkt der Auseinandersetzungen. Als Mitte letzten Jahres der Ausnahmezustand verhängt wurde, wurden allein in dem Township Duncan Village bei East London von 60.000 Einwohnern etwa 300 verhaftet. In Mdantsane spielen ehemalige ANC–Gefangene - von der Gefängnisinsel Robben Island entlassen - eine einflußreiche Rolle im Widerstand. Für den Kampf der Schwarzen haben die Deutschen in dieser Region noch nie Verständnis gezeigt. MBSA betont die Bedeutung seines wirtschaftlichen Engagements in Südafrika, denn der Konzern „glaubt an einen evolutionären Prozeß, der zu einer neuen Gesellschaft in Südafrika führen wird, in der alle Menschen gleiche Rechte genießen werden“. Die gefeuerten Mercedes– Arbeiter, die Einwohner von Mdantsane, die Schwarzen dieser Region, die schon seit mehr als hundert Jahren gegen Unterdrückung, Ausbeutung und Kolonialismus kämpfen, sehen das wohl anders.