Grünes Streitritual nach der Wahl

■ Nachdem der Grünen–Bundesvorstand sein Mehrheits– und Minderheitspapier zur Wahlniederlage präsentiert hatte, traten erstmals nach einer Wahl auch die FraktionsvorständlerInnen vor die Presse

Aus Bonn Ursel Sieber

Innerhalb der Grünen ist nach den Wahlen in Schleswig–Holstein und Bremen der Strömungsstreit in alter Schärfe ausgebrochen. Gestern trat nicht nur die grüne Parteispitze mit dem - inzwischen üblichen - Mehrheits– und Minderheitenpapier vor die Presse. Eine Stunde später folgte ein zweiter Akt: Auch der Fraktionsvorstand gab erstmals nach einer Wahl eine Pressekonferenz, wobei allerdings nur die FraktionsvorständlerInnen, die zum Realo–Flügel zählen, anwesend waren. Der zum „linken“ Flügel zählende Fraktionssprecher Thomas Ebermann fehlte: Die Wahlauswertung gehöre einen Tag nach der Wahl dem Bundesvorstand, erklärte Ebermann gegenüber der taz, die Pressekonferenz der Fraktion sei „eine Gegenveranstaltung“, und das halte er für „schädlich“. Innerhalb der Parteispitze fiel die Bewertung der Wahlniederlage in Schleswig–Holstein völlig gegensätzlich aus, folgte jedoch weitgehend den Erklärungsversuchen, die seit der Hamburger Wahl hinlänglich bekannt sind. Die Kernaussage der beiden Realpolitikerinnen Brigitte Berthold und Eva Quistorp: „Dort, wo eine fundamentalistische Politik vorherrscht (wie in Schleswig–Holstein) landen die Grünen in der Bedeutungslosigkeit, unter der fünf– Prozent–Klausel. Dort, wo eine nicht–fundamentalistische Politik betrieben wird (wie in Bremen), dort können die Grünen auch weiterhin mit eindrucksvollen Erfolgen aufwarten.“ In der Erklärung der „linken“ Mehrheit des Bundesvorstands wurde dagegen betont, daß die Grünen in beidenBundesländern ihre Wahlziele nicht erreicht hätten. In beiden Landtagswahlen liege „wenig Stoff für innerparteiliche Abrechnungen mit Strömungen der Partei“: Beide Landesverbände hätten ihre deutliche Bereitschaft zur Wahl eines SPD–Ministerpräsidenten erklärt. Die Form - ob Tolerierung oder Koalition - habe im Wahlkampf „keine entscheidende Rolle gespielt“. Den Grünen sei es jedoch nicht gelungen, „die bei zuvielen WählerInnen vorhandenen Erwartungen an die Veränderungsbereitschaft der SPD als Illusion zu entlarven“. Daraus leiteten Regina Michalik, Christian Schmidt und Jutta Ditfurth fast eine Gesetzmäßigkeit ab: Immer, wenn den Wählern und Wählerinnen die Ablösung einer CDU–Regierung greifbar nahe erscheine (wie jetzt in Schleswig– Holstein), „zieht das Argument des kleineren Übels und schwächt die Grünen“. Dagegen habe man in Bremen keine CDU–Regierung befürchten müssen. Obwohl den Grünen der Wind ins Gesicht blase, warnten die ParteisprecherInnen vor einer „Anpassung“ an den „herrschenden Trend“: Statt dessen müßten die inhaltlichen Unterschiede zur SPD, etwa in der Atom– und Chemiepolitik deutlicher werden. Die Grünen müßten wieder klarer machen, wofür und wogegen sie in dieser Gesellschaft eigentlich kämpften. Bevor dann die realpolitische Fraktionsspitze zum Zuge kam, gab es ein Gezerre um das „Minderheitenvotum“ von Quistorp und Berthold, das an den Abwasch–Streit in einer Wohngemeinschaft erinnerte: Brigitte Berthold warf der „linken“ Mehrheit „stalinistische Praxis“ vor, weil der Versuch unternommen worden sei, dieses Votum zu unterbinden. Regina Michalik sagte, man habe nur darauf bestanden, daß Brigitte Berthold ihre Stellungnahme im Bundesvorstand vor der Pressekonferenz zur Sprache bringe. Das habe Brigitte Berthold dann eine Stunde vor der Pressekonferenz getan. Müller– Gazurek ergänzte, ein Minderheitenvotum könne nur sein, was vorher diskutiert werde und sich dann als Minderheitenvotum herausstelle. In der anschließenden Fraktions–Pressekonferenz fiel auf, daß sich Hubert Kleinert von dem Berthold/Quistorp–Papier absetzte: Kleinert warnte vor „vorschnellen Schuldverteilungen nach dem einfachen Strickmuster“, und ergänzte, auch diese Einschätzung sei „etwas zu einfach“. Seine Kollegin Caritas Hensel betonte jedoch, seit der Wahl des neuen Bundesvorstands hätten die Grünen jede Wahl verloren. Bärbel Rust ergänzte, die Aufgabe der Grünen sei jetzt, „Verantwortung“ zu übernehmen; die Zeit der „Information, der Entlarvung“ sei vorbei. Und Waltraud Schoppe meinte, die Misere von Schleswig–Holstein habe klargemacht, „daß wir die Fehler bei uns selber suchen müssen“.