Selbst FDJ und Pioniere winkten freundlich

■ In der DDR hat der Olof–Palme–Friedensmarsch neue Hoffnungen geweckt / Auf Transparenten wurden - unbehelligt - die Abschaffung der Wehrpflicht und die Aufhebung des Schießbefehls gefordert / Pilger mit Kreuz marschierten hinter staatlicher Singegruppe

Über den Marsch berichtet für die taz DDR–Bürgerin Vera Wollenberg, die an dem Marsch teilnahm. Im Schatten des deutsch–deutschen Besuchsspektakels findet in der DDR derzeit ein Ereignis statt, daß in ihrer Geschichte kein Beispiel hat: der Olof–Palme–Friedensmarsch für einen atomwaffenfreien Korridor. Auf die Durchführung dieser Aktion hatten sich die Deutsche Friedensgesellschaft - Vereinigte Kriegsdienstgegner (DFG–VK) in der BRD, der Friedensrat der DDR, die Österreichische Friedensbewegung und das Tschechoslovakische Friedenskomitee geeinigt. Schon auf der Eröffnungsveranstaltung in Stralsund am 1. September gab es Freunde mit Losungen wie „Für einen sozialen Friedensdienst“, „Gegen Atomkraftwerke“, „Keine Schüsse an der Grenze“. Sie blieben nicht nur unbehelligt, sondern erfuhren Solidarität von anderen Kundgebungsteilnehmern. So machten die FDJler, die offensichtlich Anweisungen bekommen hatten, die Plakate unserer Freunde mit ihren Transparenten zu verdecken, „Dienst nach Vorschrift“. Sie stellten sich zwar vor unseren Freunden auf, unternahmen aber nichts, wenn diese weitergingen oder ihre Plakate höher hielten. Als zweite Aktion des Friedensmarsches ist vom Bund der Evangelischen Kirche und der Aktion Sühnezeichen ein Pilgerweg zwischen Ravensbrück und Sach senhausen (2. bis 4.9.) organisiert worden. Dieser Weg sollte ursprünglich allein von Christen und Friedensbewegten kirchlicher Basisgruppen gegangen werden. Kurzfristig beschloß der Friedensrat, sich daran zu beteiligen. Nach der Eröffnungskundgebung formierten sich in Ravensbrück zwei Blöcke: Vorn die staatlichen Marschierer, eine Sing gruppe und Werktätige aus Betrieben und Institutionen. Hinter dem staatlichen Block sammelten sich die Pilger um ein Kreuz, daß auf dem langen Weg abwechselnd getragen wurde. Der Auszug aus Ravensbrück erfolgte durch ein Spalier winkender Pioniere, FDJler und Einwohner. An das Gefühl, durch so ein Spalier mit Plakaten wie „Friedenserziehung statt Wehrunterricht“, „Freie Kontakte nach Ost und West“, „Für das Recht auf Wehrdienstverweigerung“ und „Abrüstung auch in Schule und Kindergarten“ zu gehen, mußten sich alle Pilger erst gewöhnen. Die beiden Blöcke hatten sich bald vermischt, Pilger und Marschierer nutzten die Gelegenheit, miteinander ins Gespräch zu kommen. Dabei war für die Pilger immer wieder ermutigend, wieviel Freundlichkeit und Solidarität sie erfuhren. Alle Menschen, denen sie begegneten, waren natürlich erst einmal überrascht, wenn sie die ungewohnten Aufschriften und Losungen sahen. Die weitestgehendste Forderung war die nach Abschaffung der Wehrpflicht. Kurz vor Oranienburg kamen etwa 5.000 Marschierer zu dem Pilgerzug dazu, der inzwischen auf 500 bis 600 Menschen angewachsen war. In der Stadt standen die Werktätigen der Betriebe und Institutionen und die Schüler der umliegenden Schulen am Straßenrand. Wenn die Menschen die Transparente und Plakate der Pilger sahen, mitten in einem endlos langen staatlichen Demonstrationszug, waren sie natürlich sehr überrascht. Viele reagierten mit Beifall, zurufen, Winken und indem sie in die Lieder der Pilger einstimmten. Es gab FDJler, die - ihre Lehrerin neben sich - Pilger mit dem Victory–Zeichen grüßten. Der Weg endete im KZ Sachsenhausen mit einer staatlichen Veranstaltung, die von verschiedenen Künstlern gestaltet wurde und für die Pilger mit einer Andacht auf dem Gelände der ehemaligen Station „Z“. Am Donnerstag geht der Olof– Palme–Friedensmarsch in der DDR mit einem Friedensforum in der Dresdner Kreuzbergkirche zu Ende (taz).