Neue rote Jünger für Bhagwan in Moskau

■ Auf der Buchmesse in Moskau stoßen die Werke des Gurus auf reges Interesse / Vor allem ältere Besucher erkundigen sich am Stand des Kölner Rajneesh–Verlags nach den Möglichkeiten einer Mitgliedschaft / Mehr als 70 Verlage aus der Bundesrepublik vertreten

Aus Moskau Alice Meyer

Schubweise wurde von den Milizionären Einlaß in den Ausstellungspavillon der kapitalistischen Länder auf dem Bücherforum in Moskau gewährt - eine notwendige Maßnahme, damit jedem Literaturinteressierten eine „Buchfühlung“ ermöglicht und eine Überfüllung der Halle vermieden werden konnte. Israel beteiligte sich schon zum zweiten Mal an der Moskauer Buchmesse, während die Sowjetunion nach Auskunft von Michail Nenaschew, Vorsitzender des Staatskomitees der UdSSR für das Verlagswesen, Polygraphie und Buchhandel die Literaturausstellungen in Jerusalem wegen der „noch unentwickelten“ politischen Beziehungen meidet. Reges Interesse - besonders von Seiten der russischen Intelligenz - wurde dem Kölner Verlag Rajneesh entgegengebracht. Die Anhänger des Bhagwan (der Guru war mit Großfoto und Film präsent) zeigten sich sehr zufrieden. Beitrittswünsche zur Sekte äußerten meist ältere Standbesucher. Der mitgebrachte Videoclip sowie die russischsprachige Ausgabe eines Bhagwan–Buches waren vom sowjetischen Zoll zunächst beschlagnahmt, dann aber rechtzeitig wieder freigegeben worden. Warum sollten auch dem sowjetischen Publikum die Interview–Äußerungen des indischen Weisen vorenthalten werden? Bhagwan bezeichnete die USA als die gefährlichste Supermacht unserer Zeit und rief seine Anhänger in der Sowjetunion auf, den Reformkurs von Michail Gorbatschow zu unterstützen. Der Kreml–Führer schicke sich an, das Sowjetvolk in einer zweiten Revolution (größer noch als die Lenins) von der Macht der Bürokratie zu befreien und es zu einer „offenen Gesellschaft“ zu machen. Die Meditationsfreunde des Gurus werden in der UdSSR, wie auf dem Messestand zu hören war, noch immer vom KGB verfolgt. Ob da eine Änderung eintritt? Die ausgestellte philosophische Literatur jedenfalls wurde von der sowjetischen Buchhandels–Dachorganisation Sojuskniga aufgekauft. Eine Verlagsmitarbeiterin wußte sogar von weiteren Bestellungen. Die Exponate der 74 deutschen Verlage, die durch das Grossohaus Wegener vertreten waren, und der übrigen Einzelaussteller aus der Bundesrepublik erwarb ebenfalls Sojuskniga. Die Bücher wandern in die Staats–, Akademie– und Universitätsbibliotheken, zu einem kleineren Teil aber auch in die etwa 30 Buchhandlungen in der UdSSR, in denen West–Literatur erhältlich ist. Dort fand ein Verleger auch schon einen Duden für 120 Rubel (durchschnittliches Monatseinkommen der Sowjetunion: 200 Rubel) Dafür hält trotz gestiegener Papier– und Druckkosten der Verlage die sowjetische Wirtschaftsführung an den Niedrigpreisen für inländische Literatur fest. Nicht das breite Leserpublikum, sondern die Wünsche der sowjetischen Einkaufsorganisationen bestimmten das Angebot westlicher Verleger und Buchhändler auf der Messe. „Bibliotheksbücher“ (Fach– und Sachbücher) dominierten, die Auswahl an westdeutscher Belletristik war mager. Andererseits ist das geringe Interesse der Leser im Westen ein Grund, daß dort nur wenige sowjetische Autoren verlegt werden. Sowjetische Politikwissenschaftler oder Historiker werden auf jeden Fall das Portrait von Filmer/Schwan über Helmut Kohl analysieren. Rau, Wehner, Waldheim und v. Weizsäcker aus der gezeigten Reihe des Econ–Verlags werden in ihren Arbeitszimmern vielleicht schon bald in den Bü cherregalen stehen. Ganz heiß war Moskaus Jugend auf die ausgestellten Musikhefte und Bücher eines amerikanischen Verlags. Frei zugänglich ist so etwas bis jetzt nur auf der internationalen Buchmesse, und die Musikfans drängten und warteten auf den Griff zu den Bänden über Synthesizer, Keyboard, Rock und Pop. Aus den Händen gerissen wurden Buchhändlern aus den USA gedruckte Exemplare der amerikanischen Verfassung, während Bhagwan nebenan die geschriebenen amerikanischen Freiheitsrechte als Makulatur bezeichnete. Auf verstärkte Nachfrage der sowjetischen Verleger und Buchhändler stießen auf der Messe Publikatio nen aus wissenschaftlichen Disziplinen, die in der UdSSR erst in neuester Zeit offiziell „Anerkennung“ genießen (z.B. Psychiatrie). Geradezu überrascht waren Vertreter westlicher Verlage mit wirtschaftswissenschaftlicher Literatur im Angebot über sowjetische Kaufwünsche in Bereichen, die früher nie auf sonderliches Interesse der Außenhändler gestoßen waren. So wurden von einem West–Berliner Verlagshaus die Rechte zur Veröffentlichung eines Buchs über japanische Management–Systeme in russischer Sprache erworben, die Start–Auflage in der UdSSR beträgt 15.000 Exemplare. Die Italiener präsentierten u. a. Gramsei und die Heftreihe „Kritik des Marxismus“. China handelt mit Büchern und Verlagsrechten mit der Sowjetunion - wie es sich zwischen sozialistischen Ländern gehört - in bürgerlichen Schweizer Franken und die Chinesen müssen kräftig draufzahlen, denn die Sowjets erzielen traditionell hohe Überschüsse in diesem Handel. Wie chinesische Verlagsvertreter mitteilten, lieferte Moskau in das Reich der Mitte in früheren Jahren sogar 30mal mehr Bücher und Rechte, als es von dort bezog. Jetzt beträgt das Verhältnis nur noch eins zu vier, erzählten die Chinesen nicht ohne Stolz, und möglichst bald soll sich ein volles Handelsgleichgewicht einstellen.