Gnadenloses Pfeifkonzert für „Kumpel Nobby“

■ Norbert Blüm bekommt bei den Stahlarbeitern kein Bein auf den Boden /“Kumpel Nobby“ entzaubert / Applaus für Rau/ 5.000 Stahlkocher auf der Stahlkonferenz der IG Metall in der Essener Gruga–Halle / Einig gegen die EG

Aus Essen Walter Jakobs

Höhle des Löwen? Die große Flatter? „Wieso denn das, ich bin doch hier kein Fremder“. Eine halbe Stunde vor seinem Auftritt gibt sich Bundesarbeitsminister Norbert Blüm am Dienstag in der Essener Gruga–Halle noch zuversichtlich. Zwar wirkt er ein bißchen blaß, gefaßter und nüchterner als gewöhnlich, aber von dem Sturm, den sein Auftritt entfachen sollte, war Norbert Blüm dann doch sichtlich geschafft. Ein gnadenloses Pfeifkonzert von der ersten bis zur letzten Minute ließ seine Worte kaum zu den rund 5.000 Stahlkochern und Werftarbeitern im Saal durchdringen. „Ich bin gekommen, um meine Hilfe anzubieten. Wenn ihr die ablehnt, müßt ihr das vor euren Kollegen verantworten“, versucht Blüm auf den ohrenbetäubenden Lärm zu reagieren. Erst nachdem das zuständige IGM–Stahlvorstandsmitglied Georg Ippers mit den Worten interveniert, „laßt ihn zu Wort kommen, wir brauchen seine Aussage für unser politisches Wollen“, gelingt es Blüm wieder, sich vorrübergehend Gehör zu verschaffen. Unten im Saal, in der ersten Stuhlreihe verfolgt der IGM–Vorsitzende Steinkühler, der Blüm eingeladen hatte, das Pfeifkonzert gelassen. Später sagt er einem Journalisten, die Reaktion sei nicht verwunderlich, denn Blüm habe mit dem §116 die Streikfähigkeit beschnitten. In seiner Rede wird Steinkühler noch deutlicher: „Diese Schandtat gegen die Arbeitnehmer und ihre Gewerkschaften werden wir niemals vergessen und niemals hin nehmen.“ Zur Stahl– und Werftenkrise hielt der IGM–Chef dem Arbeitsminister vor, er sei „wochenlang durch die Reviere gereist“ und habe „Sprüche geklopft“, doch „praktische Konsequenzen“ sei er bisher schuldig geblieben. Steinkühler forderte Blüm, der zuletzt 1983 während des IGM–Kongresses in München auf einer IGM–Veranstaltung gesprochen hatte, auf, das von Johannes Rau vorgeschlagene 2 Milliarden–Programm für die Montanregionen aufzugreifen. Ginge es nach Rau, müßte der Bund zwei Drittel, die Länder ein Drittel der Finanzierung übernehmen. Johannes Rau, dessen zögerliche Politik bei den Stahlarbeitern in Hattingen oft genug im Zentrum der Kritik stand, hatte am Dienstag in der Gruga–Halle ein Heimspiel. Geschickt die Proteste nach Bonn lenkend, heizte Rau die Stimmung gegen seinen Herausforderer Blüm noch an. Unter Beifall hielt Rau Blüm vor, daß trotz dessen Zusage die Landesregierungen der Montanregionen immer noch nicht an den Stahlge sprächen beteiligt werden. Als der NRW–Regierungchef mit den Worten „wir müssen eng beieinander bleiben, Glück auf für diesen Tag“ die Bühne verläßt, hat er für die Sozialdemokraten verlorengegangenen Boden wieder gut gemacht. Zwar trug Rau inhaltlich nichts Neues vor, aber mit dem Vorschlag für das Montanprogramm haben die Sozialdemokraten in NRW ihre bei Stahlarbeitern unpopuläre Aussage, sie wollten sich nicht an der Finanzierung von Sozialplänen beteiligen, in den Hintergrund drängen können. Da nützte es Blüm auch nichts, daß er die bisherigen und geplanten Sozialplanleistungen der Bundesregierung detailliert auflistete. Seit 1983 seien aus Bonn 2,6 Mrd DM geflossen, und bis 1991 sei eine weitere Milliarde geplant. Zahlen, die weder im Saal noch bei Franz Steinkühler nachhaltigen Eindruck hinterließen. Der IGM– Vorsitzende zu Blüms Auftritt: „Er hat seine Chance heute morgen ja nicht genutzt“. Einig waren sich Blüm, Rau und der IG–Metall–Vorsitzende Steinkühler nur, wenn es gegen Brüssel ging. Dort tagt am 21. September der EG–Ministerrat, und von dem erwarten alle drei die Verlängerung des Quotensystems und die Wiederherstellung der Stahlmarktordnung. Wie der Kampf in den Stahlrevieren und in der Werftindustrie weitergehen soll, wenn Brüssel und Bonn und die deutschen Stahlindustriellen nicht wie von der IGM gewünscht entscheiden, blieb in Essen allerdings sehr nebulös. Während der IGM–Ortsbevollmächtigte aus Hattingen, Otto König, auch eine „bundesweite Arbeitsniederlegung“ ansprach, vermied Steinkühler jegliche Konkretisierung. Für Norbert Blüm machte der Betriebsratsvorsitzende der Maxhütte einen besonderen Aktionsvorschlag. „Es würde Norbert Blüm gut anstehen, zu Franz Josef Strauß zu fahren und mit ihm über die Menschenrechte in der Oberpfalz zu sprechen.“ Das dürfte dem „Spezialisten für heiße Kisten“(Blüm über Blüm nach seinem Auftritt) dann doch etwas zu heiß sein.