Weiße wollen Minderheitenschutz

■ Nach jahrelangem bewaffneten Widerstand gegen Südafrika macht sich in Namibia Kriegsmüdigkeit breit

Johannesburg (taz) - Hunderte von Unterstützern der Südwestafrikanischen Volksorganisation (SWAPO) drängten sich letzte Woche vor dem Obersten Gericht in der namibischen Hauptstadt Windhoek. Sie warteten nicht vergebens. Nach kurzer Verhandlung wurden sechs seit drei Wochen inhaftierte SWAPO–Führer auf Anordnung des Gerichts wieder freigelassen. Die Verhaftungen infolge des Terrorismus–Gesetzes, das unbefristete Beugehaft zur Sammlung von Informationen zuläßt, waren illegal, weil die SWAPO–Führer nicht vor ihrer Verhaftung verhört worden waren. Die Verhaftungen von SWAPO–Vizepräsident Hendrik Witbooi, dem SWAPO–Vorsitzenden in Namibia Daniel Tjongarero, SWAPO–Pressesprecher Nico Bessinger, dem Schatzmeister der Namibischen Gewerkschaftsföderation NUNW Anton Lubowski, NUNW–Generalsekretär Ben Ulenga und dem Generalsekretär der namibischen Nahrungsmittelgewerkschaft John Pandeni, standen Polizeiangaben zufolge im Zusammenhang mit Untersuchungen einer massiven Bombenexplosion, die im Juli ein Einkaufszentrum im Zentrum von Windhoek schwer beschädigt hatte. Die Explosion, bei der keine Menschen verletzt wurden, war die größte ihrer Art in der Geschichte Namibias. Doch Beobachter meinen, daß in Wirklichkeit mit den Verhaftungen das Wachstum des internen Widerstandes in Namibia aufgehalten werden sollte. Die SWAPO–Führer wurden eigenen Angaben zufolge nicht über die Bombenexplosion verhört. „Mir haben sie gesagt, daß ich wegen Wirtschaftssabotage verhaftet wurde“, sagte der deutschstämmige Rechtsanwalt Lubowski zur taz. „Richtig verhört wurde ich nie.“ Die Haftbedingungen waren besonders hart. Die sechs SWAPO–Führer wurden in Einzelhaft in kleinen Wellblechzellen auf einer Farm bei Osire, 150 Kilometer nordöstlich von Windhoek, festgehalten. Sie konnten weder mit Familienangehörigen noch mit ei nem Rechtsanwalt Kontakt aufnehmen. Lubowski und Tjongarero mußten im Laufe ihrer Inhaftierung mit Nierenleiden ins Krankenhaus eingeliefert werden. Wachsende Bedeutung der SWAPO Die Tatsache, daß drei der sechs Verhafteten der jungen namibischen Gewerkschaftsbewegung angehören, ist ein Hinweis auf die wachsende Bedeutung der Aktivitäten der SWAPO. Bis Anfang letzten Jahres hatte die Organisation sich vor allem auf die Verstärkung des internationalen diplomatischen Drucks und den bewaffneten Kampf gegen die südafrikanischen Besatzungstruppen im Norden Namibias konzentriert. Doch militärisch hat die SWAPO wenig Aussicht auf Erfolg. Die kombinierten süd– und südwestafrikanischen Truppen, die sogenannte „Südwestafrikanische Gebietsmacht“ (SWATF), haben den Norden des Landes mit regelmäßigen Patroullien und nächtlichem Terror fest in der Hand. An Rekruten mangelt es der SWATF nicht - bei der hohen Arbeitslosigkeit in Namibia ist schon das Gehalt eines einfachen Soldaten äußerst attraktiv. Die „Volksbefreiungsarmee Namibias“ (PLAN) hat im Süden Angolas zudem keine sicheren Stützpunkte. Denn hier herrschen die rechten UNITA–Truppen, die mit der Unterstützung der USA und Südafrikas gegen Angolas linke Regierung einen Bürgerkrieg führen. So versucht die SWAPO seit einiger Zeit, nach dem Muster der südafrikanischen Befreiungsbewegung innerhalb Namibias Oppositionsorganisationen aufzubauen. Neben aktiven Frauen– und Jugendorganisationen haben vor allem die Gewerkschaften erheblichen Zulauf gehabt. Eine Serie von Streiks war die Folge. Doch die namibische Bergarbeitergewerkschaft MUN mußte vor kurzem einen empfindlichen Rückschlag hinnehmen. MUN–Mitglieder in den Kupfer– und Halbedelsteingruben der „Tsumeb Corporation“ im Norden des Landes hatten für besseren Lohn, Lebens– und Arbeitsbedingungen gestreikt. Die Arbeiter leben in Wohnheimen, die sogar in Südafrikas berüchtigten Bergwerken fast unvorstellbar schlecht sind. Die Arbeitgeber bleiben hart. Die gesamte Belegschaft wurde gefeuert. Sie wird inzwischen selektiv wiedereingestellt. Übergangsregierung von Südafrikas Gnaden „Das war ein Rückschlag für uns“, gibt Lubowski zu. „Doch die Gewerkschaften werden weiter arbeiten.“ Er erklärt, daß in Namibia noch immer die Gewerkschaftsgesetzgebung der fünfziger Jahre gültig ist. Demnächst soll eine Regierungskommission allerdings die Möglichkeit neuer Gesetzgebung untersuchen. Davon erhoffen die namibischen Gewerkschaften sich eine Erleichte rung ihrer Arbeit. Seit Juni 1985 regiert in Namibia die sogenannte „Übergangsregierung der Nationalen Einheit“, der Südafrika alle Regierungsfunktionen mit Ausnahme der Verteidigung und der auswärtigen Beziehungen übertragen hat. „Einheit“ besteht in der Übergangsregierung allerdings nicht. So sieht die Verfassungsvorlage, die eine von der Übergangsregierung angestellte Kommission Ende Juli vorlegte, die vollkommene Abschaffung der Rassentrennung und einen umfassenden Grundrechtekatalog vor. Doch die weiße „Nationale Partei“, die die „Verwaltung für Weiße“ leitet und Mitglied der Übergangsregierung ist, pocht weiterhin auf Bestimmungen zum „Minderheitenschutz“. Dabei wird sie von der südafrikanischen Regierung tatkräftig unterstüzt. Der südafrikanische Staatspräsident P.W. Botha hat wiederholt deutlich gemacht, daß er keine Vorschläge der Übergangsregierung akzeptieren wird, die nicht dem „Minderheitenschutz“ Rechnung tragen. Die südafrikanische Regierung versucht außerdem, nach Rassen getrennte Wahlen in Namibia durchführen zu lassen. Der südafrikanische Generaladministrator in Namibia, Louis Pienaar, begründete diese Forderung Ende Februar mit der Notwendigkeit, „die Basis der Übergangsregierung zu verbreitern“. Auch dagegen hat sich die Mehrheit der Mitglieder der Übergangsregierung gewehrt. Im Gegenzug hat die Übergangsregierung vor dem Obersten Gericht in Windhoek beantragt, daß die nach Rassen getrennte Verwaltung des Landes, die vom Generaladministrator in seiner „Proklamation Nummer 8“ (“AG 8“) festegelgt wurde, gegen den in Namibia gültigen Grundrechtskatalog verstößt. Auch wenn die Proklamation AG 8 für ungültig erklärt werden sollte, würde Südafrika allerdings keine Abschaffung der Rassentrennung auf der Verwaltungs ebene in Namibia zulassen. Zu einer international anerkannten Unabhängigkeit für Namibia werden die Bemühungen Südafrikas und der Übergangsregierung ohnehin nicht führen. Dafür bleibt die 1978 verabschiedete UN–Resolution 435 die einzige Grundlage. Die Resolution sieht unabhängige Wahlen unter UN– Aufsicht und eine UN–Friedenstruppe in der Übergangszeit bis zur Unabhängigkeit vor. Doch Südafrika und die USA blockieren die Durchführung dieses Planes, indem sie den gleichzeitigen Rückzug der etwa 30.000 kubanischen Soldaten fordern, die die Regierung in Angola unterstützen. Angola ist inzwischen bereit, in dieser Frage „flexibel“ zu sein. In Namibia selbst zeichnet sich indessen eine gewisse Kriegsmüdigkeit ab. Vergewaltigungen, Morde und andere Übergriffe der „Sicherheitskräfte“, die im Norden des Landes an der Tagesordnung sind, werden kaum noch zur Anzeige gebracht. Journalisten kommen nur selten in dieses Gebiet. Oppositionsvertreter beklagen das mangelnde Interesse an Namibia in der Weltöffentlichkeit. Und auch die Aufstände in Südafrika, die ein wichtiges Vorbild für Namibia waren, sind zum größten Teil unterdrückt worden. Die Unabhängigkeit Namibias ist nach wie vor nicht abzusehen. Hans Brandt