Sicherheit paradox beim AKW Stade

■ TÜV–Gutachten: Das AKW ist sicher, muß jedoch für 100 Millionen Mark nachgerüstet werden, um den Sicherheitsrichtlinien zu genügen / Der Betrieb geht munter weiter / Umweltminister hat keine Bedenken

Aus Hannover Jürgen Voges

Zu einer paradoxen Aussage über die Sicherheit des AKW–Stade kommen die offiziellen Gutachter des TÜV–Norddeutschland, die gestern in Hannover eine im Auftrag des niedersächsischen Umweltministeriums erstellte „zusätzliche Sicherheitsanalyse“ des AKWs vorgestellt haben. Danach ist das AKW schon jetzt völlig sicher, muß aber dennoch mit einem Aufwand von runden 100 Millionen DM nachgerüstet werden. Erst in drei bis vier Jahren soll diese Nachrüstung des Frischdampfsystems des AKWs abgeschlossen sein. Bis dahin, so meinen die Gutachter und Umweltminister Remmers, könne das AKW bedenkenlos in Betrieb bleiben. Bei der Nachrüstung des AKWs, zu der sich die Betreibergesellschaft PREAG bereit erklärt hat, sollen zuerst die alten Leitungen des Frischdampfsystems ausgetauscht werden und danach in einem zweiten Schritt auf dem Dampferzeuger des Kraftwerkes neue Sicherheitsventile eingebaut werden. Erst nach Abschluß dieser Nachrüstung, so mußten die Vertreter des TÜV gestern eingestehen, ist das AKW Stade „auch formal so ausgestattet, wie es die neuen Sicherheitsrichtlinen der Reaktorsicherheitskommission vorsehen“. Mit der Nachrüstung machen sich das TÜV Gutachten und auch Umweltminister Remmers zumindest einen der Kritikpunkte an der Sicherheit von Stade zu eigen, mit denen die hannoversche Gruppe „Ökologie“ in einem Gutachten für die Grünen die Forderung nach der sofortigen Stillegung von Stade begründet hatte. Die TÜV–Gutachter bezeichneten die Kritik der Gutachter vom ÖKo–Institut gestern in Hannover als „bis auf wenige Punkte nicht relevant“. Einer dieser wenigen Punkte betreffe unter anderem allerdings das beanstandete Frischdampfsystem. Die Gutachter des Öko–Institutes (Freiburg) hatten wiederholt darauf hingewiesen, daß Stade das einzige AKW in der BRD ist, bei dem in dem Frischdampfsystem bestimmte „Schnellschlußarmaturen“ fehlen, eben jene „neuen Sicherheitsventile“, mit dem das AKW nun nachgerüstet werden soll. Diese Ventile betrachtet inzwischen auch die Reaktorsicherheitskommission als unerläßlich, weil bei dem Abriß einer Frischdampfleitung durch das im Dampferzeuger entstehende Druckgefälle die Heizrohre platzen können und damit dem radioaktiven Dampf aus dem Primärkreislauf über die Frischdampfleitungen einen Weg ins Freie öffnen können. In seiner Sicherheitsanalyse hält es der TÜV Norddeutschland allerdings nicht für notwendig, das AKW Stade abzuschalten, bis für diesen Störfall ausgelegt ist. Auch bei Austritt des radioaktiven Dampfes aus dem Primärkreislauf in die Umgebung des AKW würden die Grenzwerte des §28,3 der Strahlenschutzverordnung nicht überschritten, sagt der TÜV. Voraussetzung dafür sei allerdings, daß der gesamte Verzehr von Nahrungsmitteln, die in der Umgebung des AKWs angebaut werden, verboten würde.