Heiliges Phänomen aus einer anderen Welt

■ Der Papst predigt am Alltag der 55 Millionen Katholiken in den Vereinigten Staaten vorbei / Vatikanische Orthodoxie und soziale Wirklichkeit klaffen meilenweit auseinander / In San Francisco erwarten Johannes Paul viele Proteste

Aus Washington Stefan Schaaf

„Papst Johannes Paul II. hat aus dem Land der Freien einen Polizeistaat gemacht“, beklagt sich der Reporter der Washington Post in einem Bericht aus Arizona. „Entlang der Paradestrecken sieht man mehr Gewehre als Flaggen, ständig brummen Hubschrauber über uns, grüne Armeejeeps und chromblitzende Polizeimotorräder sausen umher“, fährt er fort. Nicht nur für ihn, sondern für die meisten amerikanischen Katholiken, selbst die in den neun Orten, die Johannes Paul II. auf seiner USA–Reise besucht, bleibt der Papst ein entrücktes Phänomen, abgeschirmt durch ungeheure Sicherheitsvorkehrungen und eine Leibgarde, die im Mutterland der Terroristenfurcht nichts dem Zufall überlassen will. In Los Angeles, wo der katholische Oberhirte am Mittwoch in einem Footballstadion voll gläubiger Schäfchen predigen will, war der Secret Service besonders einfallsreich. Ein Rettungswagen wird während der gesamten Messe mit laufendem Motor unter dem Altar verborgen sein, um den Papst im Fall des Falles aus dem Stadion zu bringen; und da der übliche Zufahrtstunnel von seinen Fans verstopft sein könnte, wählte man ein Fahrzeug mit Vierradantrieb, das Johannes Paul II. über eine Spezialrampe erst dem Himmel entgegen und dann über die Tribünen hinweg in Sicherheit bringen kann. Der gigantische Sicherheitsapparat wird den Papst nicht nur vor Attentaten, sondern auch vor zu engem Kontakt mit Protestdemonstrationen bewahren, die die USA–Rundreise von Johannes Paul II. begleiten. Ein so politischer Papst wie er hat natürlich damit zu rechnen, daß eine so große und diverse Katholiken–Gemeinde wie die der Vereinigten Staaten nicht in allen Fragen mit ihm übereinstimmt. „Ja, wir erwarten Proteste“, sagt Diakon Norman Phillips von der Erzdiözese San Francisco, der als Pressesprecher für die Kirche fungiert. „Protestieren werden hier in erster Linie die Homosexuellen, außerdem jüdische Gruppen, Abtreibungsbefürworterinnen und einige Friedensgruppen“, sagt er voraus. Dagegen habe er eigentlich nichts einzuwenden, auch wenn er den Standpunkt der Papst– Kritiker nicht teile. Etwa den derjenigen, die Johannes Paul wegen seines Treffens mit Kurt Waldheim angegriffen haben. „Die Anschuldigungen gegen Waldheim sind schließlich bisher von niemandem bewiesen worden“, sagt er. Die jüdischen Kritiker des Papstes haben nach einem Treffen mit ihm in Miami die meisten Vorwürfe zurückgenommen und die Waldheim–Kontroverse stillschweigend begraben, nachdem ihnen eine grundlegende Stellungnahme der katholischen Kirche zum Holocaust zugesagt wurde. Der Papst verweigerte jedoch einen wichtigen Punkt der Wunschliste seiner jüdischen Gesprächspartner: die diplomatische Anerkennung Israels durch den Vatikan. Kein Entgegenkommen erwarten dagegen die Schwulen und Lesben in der katholischen Kirche. Seit Wochen haben Schwulen–Aktivisten in San Francisco zwei Demonstrationen gegen den Papst vorbereitet, um zu zeigen, daß sie die Ansicht des Vatikans, Homosexualität sei „von Grund auf von Übel“, nicht teilen. So hatte es der Heilige Stuhl im vergangenen Oktober mit einem an alle Bischöfe der Welt gerichteten Brief aus der Feder Kardinal Ratzingers verkündet. Dem Ratzinger–Brief zufolge sind homosexuelle Neigungen „unnatürlich“, Geschlechtsverkehr zwischen Schwulen oder Lesben ist gar „unmoralisch“ und führt zum Ausschluß aus dem „Volk Gottes“. Nach Veröffentlichung dieses Dokuments setzte die Repression gegen schwule Katholiken ein. Pater McCurran, ein schwuler Dozent an einer katholischen Hochschule, müßte gehen, und „Di gnity“, einer Organisation schwuler Katholiken, wurde vielerorts verboten, weiterhin Messen abzuhalten. Vielen Katholiken, die sich zu ihrem Schwulsein bekannt haben, fällt es schwer, damit zu leben, daß sie von der offiziellen Kirche wie Ausgestoßene behandelt zu werden. „Uns bleibt nur Ausdauer und unser Glaube“, sagt etwa James Bussen, der Präsident von „Dignity“. Er lastet die Verschärfung der Situation schwuler Katholiken vor allem dem amtierenden Papst und den von ihm ernannten US–Bischöfen an, die in der Regel kon servativer sind als die, die von früheren Päpsten berufen wurden. Daß der Vatikan es sich mit seinem starren Pochen auf der reinen Orthodoxie zu einfach macht und damit oft an den alltäglichen Gegebenheiten vorbeipredigt, hat vor allem die AIDS–Krise ans Licht gebracht. In San Francisco gibt es - trotz Kardinal Ratzinger - nicht nur schwule, sondern auch AIDS–kranke Katholiken und mittlerweile außerdem AIDS– kranke Priester. Und so, wie die Kirche in vielen Gemeinden in den Vereinigten Staaten nicht nur predigt, sondern vor allem brennenden sozialen Problemen abzuhelfen versucht, bemüht sie sich auch hier um Beistand für die Betroffenen. Die Most Holy Redeemer Church in San Franciscos Castro–Distrikt, dem Zentrum der Schwulen, betreibt ein Hospiz für sterbende AIDS–Kranke und hat eine Aids–Unterstützergruppe gebildet. Deren hundert Freiwillige besuchen AIDS–Kranke, helfen bei Erledigungen und sind vor allem bereit, zuzuhören.