Busfahrerstreik in der UdSSR

■ Zum ersten Mal seit den 20er Jahren wurde in der sowjetischen Presse von Arbeitsniederlegungen berichtet / Gehaltskürzungen brachten das Faß zum Überlaufen

Berlin (taz) - An einem Morgen „vor kürzerer Zeit haben die Einwohner in den Straßen von Tschechov keinen einzigen Bus gesehen, mittags erfuhren sie die Wahrheit: Die Busfahrer hatten sich geweigert, das Depot zu verlassen“, schreiben die Moskauer Nachrichten in ihrer russischsprachigen Ausgabe vom Mittwoch. Auch wenn das Wort „Streik“ vermieden wurde, ist zum ersten Mal seit den zwanziger Jahren wieder über eine Arbeitsniederlegung in der sowjetischen Presse berichtet worden. Bisher galt die „Weigerung, eine gesellschaftlich nützliche Arbeit auszuführen, unverträglich mit den Prinzipien der Sozialistischen Gesellschaft“. Anlaß für den Streik war die Gehaltsreform, die seit dem 1.Juli 1987 das Prämiensystem neu regelt und offenbar zu erheblichen Gehaltseinbußen bei den Busfahrern führte. Im Tschechover Rathaus schätzt man die durchschnittliche Gehaltskürzung auf etwa zehn Rubel, berichtet die Zeitung, während die Verkehrsbetriebe von 20 und die Busfahrer sogar von 50 Rubel sprachen. „Wie soll man produktiv arbeiten und Geld verdienen mit Bussen, die wie Panzer nach der Schlacht aussehen und ständig liegenbleiben?“ wird der Schichtleiter der Busfahrer zitiert. Die Behörden reagierten schnell: 90 Minuten nach Beginn des Streiks waren Vertreter der Regionalverwaltung an Ort und Stelle. Inzwischen ist ein Ausschuß der gesamten Belegschaft gegründet worden, um die „dringenden Probleme der Arbeitszeit und der Wohnungszuteilung lösen“, was Hinsweise darauf gibt, daß die Gehaltsreform das Faß nur zum Überlaufen brachte. Für den stellvertretenden Leiter des Volksbüros im Rathaus der Stadt ist es auch soweit: „Noch vor drei Jahren hat man die Leute noch wegen Sabotage verurteilt“, bemäkelt er die Perestroika. „Mit der Demokratie hat man die Zügel losgelassen.“ er