Prozeß gegen AIDS–Virusträger

■ Staatsanwaltschaft klagt wegen gefährlicher Körperverletzung an / Der US–Amerikaner soll seinen Partnern die Infektion verschwiegen und eine „Todesfolge“ beim Geschlechtsverkehr in Kauf genommen haben

Aus Nürnberg Wolfgang Gast

Der Auftakt des Gerichtsverfahrens gegen den 46jährigen Zivilamerikaner Linwood B. begann mit einer Antragsflut. Die Staatsanwaltschaft wirft dem ehemaligen Koch der Nürnberger US– Streitkräfte vor, in Kenntnis seiner eigenen HIV–Infektion in mindestens vier Fällen ungeschützt den Geschlechtsverkehr ausgeübt zu haben. Erstmals in der Bundesrepublik angeklagt als Versuch der gefährlichen Körperverletzung. Linwood B. habe sogar, so Staatsanwalt Dr. Schwalm, eine „Todesfolge“ bei seinen Partnern in Kauf genommen. Der Angeklagte soll wiederholt Anal– und Oralverkehr ohne Kondom ausgeübt haben, ohne seine Partner über seine Infektion informiert zu haben. Von einer Begegnung in einem Nürnberger Schwulentreff weiß Staatsanwalt Schwalm zu berichten, bei der der Angeklagte „ohne Schutz in den After des Partners eindrang“, vor dem Samenerguß hätte er dann aber ein Kondom übergestreift. Mithin eine Sexualpraxis, die von den AIDS–Hilfen als nicht überaus risikoreich bezeichnet wird. Bereits vor Verlesung der Anklageschrift kam es zum ersten Eklat. Die Dolmetscherin weigerte sich, neben dem Angeklagten Platz zu nehmen. Obwohl ihr intellektuell die Ansteckungs wege bekannt seien, meinte sie, müsse man ihre Ängste verstehen, sie habe zwei Kinder. Ein Antrag des Verteidigers Karl–Heinz Becker, sie für befangen zu erklären, wurde vom Gericht verworfen und brachte wegen der Begründung der 13. Strafkammer beim Nürnberger Landgericht unter Vorsitz von Richter Kölbl selber einen Befangenheitsantrag ein. Linwood B. wurde am 5. Februar verhaftet und sitzt seither in Untersuchungshaft. Die Mordkommission hatte in verschiedenen Saunen und Clubs nach dem farbigen Amerikaner gefahndet und ein Bild des Angeklagten herumgereicht mit der Bemerkung, „der hat AIDS, jeder, der mit ihm was zu tun gehabt hat, muß davon ausgehen, daß auch er AIDS hat“. Rechtsanwalt Becker warf den Ermittlungsbehörden weitere Rechtsverstöße vor. So sei mit der Ladung eines US–Armeearztes im Zuge der Ermittlungen das ärztliche Berufsgeheimnis verletzt worden. Hinzu komme noch, so der Anwalt, daß Linwoods früherer Partner bei den Ermittlungen des Meineides überführt wurde. Bei seiner Vernehmung vor der Ermittlungsrichterin hatte er seine eigene AIDS–Infektion verschwiegen. Stattdessen hatte er angeboten, sich einem Test zu unterziehen. Der vernehmenden Richterin soll er dabei gesagt haben, „wenn der Test positiv ist, stelle ich Strafantrag“. Rechtsanwalt Becker kam zu dem Schluß, daß das Gerichtsverfahren wegen irreparabler Schäden eingestellt werden müsse. Bei Redaktionsschluß war über die Anträge noch nicht entschieden. Das Verfahren wird am Dienstag fortgesetzt.