„Sonnenenergie ist umsonst“ - in den Solar–Kolonien

■ Solar–Wasserstoff–Planer verplanen die sonnenreichen Länder als neue Rohstoff–Lieferanten

Von Imma Harms

Verfechter einer Solarwasserstoffwirtschaft verweisen gern auf die ökologische Verträglichkeit selbst ganz großer Systeme. Zwar gestehen die Experten zu, daß der Transport des hochexplosiven Wasserstoffs nicht ganz ungefährlich ist, geben aber gleichzeitig zu bedenken, daß die Technologien zur Beherrschung dieses „Restrisikos“ als entwickelt angesehen werden können. Außerdem habe Wasserstoff als sehr leichtes Gas den Vorteil, sich im Falle von Lecks in Schiffen oder Gasleitungen in höhere Regionen zu verflüchtigen und sich nicht, wie etwa Erdgas, als gefährlicher Zündstoff am Boden zu sammeln. Umweltverträglich also sei ein solches Solarwasserstoff–Energiesystem mit wenigen Abstrichen. Wie aber ist es mit der politischen „Verträglichkeit“? Solarzellen selbst mögen noch eine dezentral verwendbare Alternative für Bastler oder spezielle Inselbetriebs–Anwendungen sein. Der Wasserstoff–Kreislauf aber, mit seinen aufwendigen Elektrolyse–Verfahren, Transport und Wiederverbrennung, ist nur großtechnologisch interessant. Aber nicht nur aus diesem Grund. Solarstrom ist sehr teuer, weil die hauchfeinen Siliziumscheibchen in einem komplizierten Produktionsverfahren hergestellt werden. Ein Watt photovoltaisch erzeugter Energie kostet zur Zeit noch 15 bis 20 Mark. (Für Steinkohle berechnet man 2 Mark/Watt und für Atomenergie 3,50 Mark/ Watt.) Alle beklagen das und neh men es als Argument gegen einen Ausbau der Solartechnik. Ein Anreiz für größere Investitionen in die Entwicklung billigerer Solarzellen setzt die Aussicht auf eine Massenproduktion, d. h. auf einen immensen Markt voraus - eine Katze, die sich in den Schwanz beißt. Eben hier setzen die Apologeten der Wasserstoff–Wirtschaft an. Sie gehen nach dem Prinzip vor, nicht kleckern sondern klotzen - und plötzlich ergibt die Sache einen Sinn! Denn soll Wasserstoff einen wesentlichen Beitrag zur nationalen Energieversorgung leisten, dann sind Solarzellenfelder von einigen tausend Quadratkilometer Größe erforderlich. Heinrich Hohenberg vom Hamburger Heinrich–Plette–Institut überschlägt die mögliche Verbilligung der Solarzellen: „Momentan kosten Solarzellen noch rund 50 Mark pro Quadratmeter, aber man kann davon ausgehen, daß duch Automatisierung und Standardisierung in 30 Jahren die gleiche Fläche für voraussichtlich nur zwei Mark zu haben sein wird.“ Die Konkurrenzfähigkeit der Wasserstoffwirtschaft setzt aber weiter voraus, daß auf den Solarfeldern auch ergiebige Sonneneinstahlung „geerntet“ werden kann. Das ist in unseren Breitengraden nur sehr beschränkt möglich. Alle Solarwasserstoff–Planer sehen daher begehrlich nach Süden. Ludwig Bölkow, allgemein als Vordenker in Sachen solaren Wasserstoffs angesehen: „Das beste wäre aber doch, wenn man in Spanien, auf Sizilien oder in Nordafrika eine Reihe größerer Flächen mit insgesamt rund 100 Qua dratkilometer Sonnenzellen überbauen und komplette Anlagen zur H2–Gas–Erzeugung per Elektrolyse mit dem Solarstrom errichten würde.“ Heinrich Hohenberg: „Denkbar wäre also ein Szenario, in dem aus den gut mit Sonne versorgten Gebieten der Erde über Pipelines der Solarwasserstoff in die Industrieländer des sonnenarmen Nordeuropa fließt.“ Im Iran, in Nordafrika, auf der arabischen Halbinsel und in Südamerika findet er etwa 600.000 Quadratkilometer dafür geeignet. In einem Beitrag zum Thema in Bild der Wissenschaft werden die verfügbaren sonnenbeschienenen Landstriche gleich in der Einheit des bundesdeutschen Energiebedarfes eingezeichnet. Aber sind diese Länder tatsächlich verfügbar? Die Experten sehen keine Schwierigkeiten, sie verweisen auf die Kooperation mit Saudi Arabien. In einem gemeinsamen Projekt der Universitäten von Stuttgart und Riad und unter Beteiligung des Stuttgarter Fraunhofer Institutes wird dort zur Zeit die erste große Forschungsanlage zur Herstellung von Solarwasserstoff gebaut. Saudi Arabien trifft Vorsorge für die Zeit, in der die reichen Ölvorkommen erschöpft sein werden. Es hat allerdings auch die Mittel dazu, sich eine eigene Infrastruktur zur neuen Ressource Wasserstoff zu beschaffen - im Gegensatz zu den meisten anderen Sonnenstaaten. Die Investitionskosten für eine Wasserstoffanlage - im energiewirtschaftlich erst interessanten Megawatt–Bereich - dürften auch bei wesentlich billigeren Solarzellen im Milliardenbereich liegen und von den armen Ländern nicht aufzubringen sein. Das ist den Wasserstoff–Planern auch klar, Nitsch schlägt deshalb Kompensationsgeschäfte vor: „Sonnenkraftwerke und Wasserstoff–Anlagen gegen solaren Wasserstoff“, denn: „Was sollen die Kunden auf dem Weltmarkt liefern, wenn nicht Energie und Rohstoffe?“ Und was sollen die Industrienationen auf dem Weltmarkt liefern, wenn nicht kostspielige Investitionsgüter - muß diese Frage wohl ergänzt werden. „Durch einen beiten Einstieg in die Solar– und Wassserstofftechnologie sind zahlreiche Innovationen (in der bundesdeutschen Wirtschaft, d.A.) zu erwarten“, sagt Nitsch voraus. Schon deutlich zeichnet sich in seinen Augen „das potentielle Industriegefüge für den Export von Sonnenkraftwerken und Wasserstoff–Anlagen und anschließendem Import solaren Wasserstoffs ab. Das erste besorgt die angestammte Kraftwerksindustrie, ergänzt durch die Massenfertigung von Heliostaten oder Solarzellen–Paneele, für das zweite ist die Gaswirtschaft prädestiniert.“ Baut die KWU dann Wasserstoffabriken für Algerien statt AKWs für Brasilien? Für die Sonnenlieferanten werden solche Geschäfte zum Bumerang. Unterstellen wir einen „freien Welthandel mit Wasserstoff, wie er Nitsch vorschwebt: Verschiedene sonnenreiche Länder werden mit der milliardenschweren Technologie beliefert, sie zahlen die Investitionen durch den Verkauf von Wasserstoff zurück. Was passiert aber, wenn die Energie–Importeure den Weltmarktpreis für Wasserstoff ähnlich in die Knie zwingen, wie das in den letzten Jahren mit den Preisen für andere Weltmarktprodukte geschehen ist? Die Wasserstoff–Exporteure stehen mit einem riesigen Schuldenberg da, der sie in die ökonomische und damit politische Abhängigkeit von ihren Gläubigern zwingt. Die andere Variante, ein fester Liefervertrag, scheint nur auf den ersten Blick die bessere. Die Bundesrepublik könnte eine derartige Abhängigkeit ihrer lebenswichtigen Energieversorgung von dem Willen eines fremden Staates nur akzeptieren, wenn die Wasserstoff–Fabrik quasi auf exterritorialem Gelände steht. Wenn man beachtet, daß die USA zur Sicherung ihrer Ölimporte selbst einen Nuklearkrieg riskieren würden, dann kann man sich vorstellen, daß keine Industrienation die Abhängigkeit von einem Wasserstoff–Lieferanten eingehen würde, ohne es militärisch und politisch vollkommen im Griff zu haben. Wenn also die Wasserstoff–Planer vorschlagen, die Solarfelder und Fabriken für die Energieversorgung der Bundesrepublik in südlichen Ländern aufzubauen, dann sollten sie offen dazu sagen, daß diese Länder dazu kolonisiert werden müssen. Mag die Wasserstoffproduktion für manche südliche Länder ökonomisch auch interessant erscheinen (es könnte für sie die eine oder andere Meerwasser–Entsalzungsanlage oder vielleicht ein Bewässerungssystem abfallen), politisch bedeutet der Einstieg in die neue Technologie auf jeden Fall eine Gefahr. „Sonnenenergie ist umsonst“, behauptet Ludwig Bölkow - auch das Land, auf dem sie „geerntet“ wird? Die Politiker der sonnenreichen Länder sollten nicht vergessen, daß dies die Einstellung ihrer zukünftigen Vertragspartner ist.